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… die Geschichte neu geschrieben werden müßte?

… die Geschichte neu geschrieben werden müßte?


Es hat mich gerührt, wie kindlich sich die Bundeskanzlerin über den amerikanischen Karnevalsorden gefreut hat. Nicht nur, daß sie sich erstmals in ihrer Karriere ein Kleid angezogen hatte, in dem sie sich wie nackt vorgekommen sein muß. Sie kicherte und knickste auch, wie ein Jugendweihling, wollte wissen, wo sie sich das Ding hinstecken kann und war drauf und dran, das Lametta mit dem Friedensnobelpreis zu vergleichen, den Obama schon hat. Vielleicht ist sie in einer Phase, in der sie grundlegende Dinge zu verwechseln beginnt – ihr Amt und ihre Person beispielsweise. Vielleicht schließt sie aus der Tatsache, daß Muhammad Ali und Marlene Dietrich auch diesen Orden bekamen, es ginge hier um etwas, was ihr eigentümlich wäre, ihr innewohnt, egal ob sie als Backwarenfachverkäuferin, Prostituierte oder Bundeskanzlerin tätig ist – ein Talent, eine Kraft, eine Aura. Mit ihr zu arbeiten mache Spaß, hat Obama über sie gesagt, was man jeder Bürokraft sagt, wenn sie Geburtstag hat. Er hätte auch sagen können, Frau Merkel sei nett. 

Es hat mich gerührt, wie sie errötete und fickrig wurde, mit dem Medaillenkasten in der Hand kaum den Impuls unterdrücken konnte, sich umzuwenden und zum Sauer zu rennen: Guck mal, was ich vom Barack gekriegt habe! Mich beschlich das Gefühl, daß wir – wir alle! – sie nicht verwöhnt haben mit Komplimenten, die nicht ihr Amt, nur ihre Person betreffen. Sagt Pofalla manchmal am Rande einer Besprechung»Übrigens, toller Hintern, Angela!«, ruft Schäuble anerkennend »Ihr Kaffee mal wieder, Frau Bundeskanzler!« oder bemerkt Westerwelle »oh, neues Deo!«? Nein. Nur Sauer sagt manchmal »Hm, Kartoffelsuppe!«. Aber auch nur, wenn er muß.

Bedenklich an der amerikanischen Episode ist allerdings, daß Merkel wahrscheinlich gelogen hat, um an den Orden zu kommen. Oder sagen wir: Sie ist im zu Guttenbergschen Sinne wahrscheinlich etwas zu engagiert mit ihrer Biographie verfahren. Sie muß dem Obama Dinger über sich erzählt haben! Anders sind bestimmte Einlassungen des Präsidenten nicht zu deuten. Sichtlich ergriffen sprach er von dem kleinen Mädchen, das in einer Art Gulag aufwuchs, sich nicht nach Spielzeug, Süßigkeiten oder einem süßen Haustier, sondern nur nach einem Sonnenstrahl pro Woche sehnte. Das ganze Glück des Kindes bestand darin, nicht erschossen zu werden. Es konnte praktisch bis ins reife Frauenalter nur notdürftig seine Scham bedecken, da es ihm an Kleidung fehlte. Diesen Eindruck hat Angela Merkel selbst bei Obama erzeugt, weil sie in seiner Gegenwart wiederholt betont hat, die Freiheit sei an jenem Tag über sie gekommen, als ihre Sehnsucht nach einer eigenen Hose aus derbem, blauen Stoff gestillt wurde (entsprechende Zitate findet man im Netz). Sie fror viel in dieser Zeit, und ihr Augenlicht schwand, weil sie keine Farben sehen durfte. Sie war fast gänzlich stumm, denn jedes Wort hätte sie verraten– mit Schlimme-Augen-Wurst fehlernährt und konnte erst als Fünfjährige einen Berg hinunterlaufen. Ohne Bibel wäre sie verrückt geworden. Außerdem wurde sie von bösen Männern (Stasi) behelligt, zu denen sie knallhart»nein« gesagt hat.

Das alles hat Obama über sie und überwiegend von ihr erfahren. Sein Erstaunen darüber, daß Merkel dennoch über sämtliche Gliedmaßen und ein saniertes Gebiß verfügt, logisch argumentieren und Anspielungen verstehen kann, war aus jeder Silbe seiner Laudatio herauszuhören. Unklar ist ihm allerdings bis heute geblieben, wie Angela Merkel das kommunistische Regime gestürzt hat. Immer, wenn er sie danach fragte, hat sie ihn nur verschwörerisch angelächelt und geschwiegen (aus Bescheidenheit). Deshalb half sich Obama mit der Formel, Merkel habe ein bewährtes »Yes, I can« zu sich gesagt– und da sei es um den Kommunismus geschehen gewesen.

Die Kanzlerin selbst beteuerte übrigens ein ums andere Mal, wenn sie Obama begegnete, die Ostdeutschen –einschließlich die kleine, tapfere Pfarrersfamilie, in der sie aufwuchs – seien durch die Amerikaner in einem Akt der Nächstenliebe befreit und die Deutschen durch die USA umgehend glücklich wiedervereinigt worden. Das dürfte neu sein für alle, die irgendwie beteiligt gewesen sind. Aber man kann es von jetzt an in den Geschichtsbüchern lesen.

Junge Welt, 10. Juni 2011

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