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… es eine Güllewende gäbe?

… es eine Güllewende gäbe?
Die Geschichte der Gülle ist eine Geschichte voller Mißverständnisse. Die Gülle ist nämlich keineswegs identisch mit dem russischen Kwas – einem braunen Trunk aus gegorenem alten Brot und Wasser, mit dem Stalin gute Erfolge bei trägem Darm erzielte. Im Gegenteil: Kwas wird dieser Tage von Experten als einziges sicher wirkendes Mittel gegen den mörderischen EHEC-Virus empfohlen, denn er aktiviert die Darmflora und verschafft dem Virus einen sanft-säuerlichen Abgang: Aus Rußland ist kein einziger EHEC-Toter gemeldet worden.
Gülle hilft auch nicht gegen Warzen. Das sogenannte Jauchen als Initiationsritual notgeiler Knaben ist selbst im Bayerischen Wald seit einem Jahrhundert ausgestorben, und mit Gülle getränkte Wattebäusche, auf eine entzündete Zahnwurzel aufgelegt, erzeugen zwar die sogenannte fiebrige Hitze, ersetzen aber nie die Zahnextraktion.
Gülle ist Scheiße, man muß es so sagen. Deutschland ertrinkt darin. Noch nie in der Geschichte wurden so ungeheure Massen an Gülle über unsere Heimaterde ausgegossen wie in diesem Jahr – sagen die aktuellen Zahlen des Bundesverbandes für Güllewirtschaft mit Sitz in Güllstein im oberen Ammertal. Und es wird jährlich mehr. Aus einem noch nicht vollständig erforschten Grund ist die im Mittelalter entwickelte Technik der Ackerbürger, sich sämtlicher Exkremente billig zu entledigen, indem man sie auf Freiflächen, auch im Abstandgrün und auf Golfrasen, verteilt, von der Zivilisation nicht überwunden worden. Selbst die frühbürgerliche Aufklärung, Hegel und Marx, die Kanalisation, das Telefon, die Raumfahrt, die Mehrwertsteuer und das Internet haben das Güllen (Jauchen, Scheißesprühen) nicht obsolet gemacht. In einigen Landkreisen zahlt die öffentliche Hand den Bauern sogar die sogenannte Scheißprämie für das Verklappen der Verdauungsprodukte von Großvieheinheiten in den jungen Roggen. Zudem gibt es mit Gülle einen florierenden Emissionshandel an der sogenannten Güllebörse (www.naehrstoffboerse.de/selbstverstaendnisDerGuelleboerse.htm): Holländer und Belgier drücken auf deutschem Boden Unmengen an Gülle aus und nehmen uns dafür zahlreiche Wanderarbeiter aus den ostdeutschen Bundesländern ab.
Wie wahnsinnig güllt man in Bayern und in Mecklenburg. Bayern ist das Land von Hightech und Lederhose und einer besonders rabiaten Abkehr von der Atomindustrie unter Führung von Markus Söder. Aber im Frühjahr verfallen die Bayern in einen regelrechten Jaucherausch. Das Areal stinkt bestialisch. Vor Jahren fuhr ich einmal ins liebliche Augsburg ein und konnte, auf dem Marktplatz sitzend, nicht einmal einen Pfefferminztrunk nehmen, weil das Arom mich bis dorthin verfolgte. In Mecklenburg tränkt man die Krume mit Gülle, weil man es in der LPG so gelernt hat und werktäglich betrunken ist (neulich haben sie sogar einen Sandsturm auf der Autobahn bei Rostock mit Gülle bekämpft) – in Bayern jedoch hält man das Kackekutschieren für den Gipfel der Agrikultur! Aus beiden Landstrichen kamen in diesem Jahr die ersten EHEC-Opfer.
Im Barnim ist man von der Gülle abgekommen. Aber um welchen Preis! Dort vergärt die Gülle zusammen mit allem, was die Brüsseler Administration wachsen läßt, in den hochprofitablen Biogasanlagen. Zurück bleibt ein Sud, der sämtliches Gift der Gülle konzentriert enthält, auch den EHEC. Verwirbelt man ihn auf den Feldern, stinkt es bösartiger, als es in der DDR je gestunken hat.
Daß der Virus in der Gülle lauert, ist bekannt. Nicht von ungefähr empfiehlt der Hebammenbund, sie nicht für Babynahrung zu verwenden. Aufs Gemüse würde sie indes nie und nimmer aufgetragen, beteuert der Gülleverband und bietet uns die Teilnahme an entsprechenden Versuchen per Webcam an: Kopfsalat zerfällt innerhalb von Minuten nach Benetzung mit Gülle. Radieschen schrumpfen auf Rosinengröße, und alten Bäuerinnen, die in einem Güllebeet stehen, faulen die Füße.
Was die Freunde der Gülle nicht sagen: Natürlich sickert Gülle aus Mais- und Roggen-Feldern in die Gemüsefurchen, kontaminiert Badewiesen, verseucht Hundeabrichtungsplätze. Durch Städtchen im Tale ergießt sich bei jedem Sommerregen ein Sturzbach von Gülle aus den Feldern auf den Hängen. EHEC nehmen die Buben und Mädchen, die auf der Gasse »Afghanistan« spielen, mit dem Straßenstaub auf!
Nach der großen Wende zu einem besseren Sozialismus in der DDR 1989 und der Energiewende 2011 brauchen wir jetzt eine Güllewende! Ob eine Gesellschaft in der Zivilisation angekommen ist, wird sich daran erweisen, daß sie auf Gülle als Nahrungszusatz verzichten kann. Und die Kanzlerin muß sich fragen lassen: Frau Merkel, wollen Sie ein Land, das flächendeckend von Scheiße durchtränkt ist, regieren?
Junge Welt, 28. Mai 2011

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