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… der Funke der Freiheit überspränge?

… der Funke der Freiheit überspränge?

Der Funke der Freiheit, die Fackel der Wahrheit, das Feuer der Liebe, die Glut der Leidenschaft und die uralte Arbeitshose meines toten Großvaters! Dinge der Erhabenheit, die unserem Dasein jede Menge Wärme, Hitze und natürlich Rauch geben, ohne den kein Feuer ist und man keine Schweinswürsteln räuchern könnte. Ich wüßte – auch nach längerer Besinnung – keinen, in dessen Mundraum der Funke der Freiheit besser bewahrt wäre als bei Dr. Westerwelle. Wo andere Mundgeruch haben, hat er den gewissen Funken und könnte damit durch bloßes Anhauchen einem alten Opel Starthilfe geben.

Ihm ist zu verdanken, daß diese Metapher überhaupt wieder zu uns fand (zuletzt flog hierzulande der Funke der Freiheit 1998 in dem gleichnamigen Roman von Tilman Röhrig über die Ermordung des Dramatikers August von Kotzebue). Zugleich hat Westerwelle mit dem »Funken der Freiheit«, formuliert in der ARD am 13. Februar, dem Chaos, dem Gebrüll, dem widerwärtigen Gehopse und Geschwenke, dem Gestank, dem Blut, den abgerissenen Gliedmaßen und den Leichen, die zu einer Revolution gehören, eine solitäre sprachliche Fassung gegeben. Wann immer wir uns des Krakeels der arabischen Massen mit Rührung erinnern werden – wir werden vom Funken der Freiheit sprechen. Ja, es wird in fünfzig Jahren vielleicht heißen: »… der Funke der Freiheit, um es mit dem längst vergessenen einstigen deutschen Außenminister Westerwelle zu sagen …« (Westerwelle, immer im bildgebenden Verfahren, hatte in der gleichen Sendung ein übriges getan und – analog zur orangenen, blauen, grünen und friedlichen, zur Nelken- und zur Oktoberrevolution von »Jasminrevolution« fabuliert – aber das verfing unter der Wucht von »Funke der Freiheit« schon nicht mehr).

Der Funke der Freiheit springe »bereits auf eine ganze Region über« frohlockte der Vizekanzler (am 16. Februar im ZDF und im Interview mit der Welt). Er meint damit sogenannte Autokratien, wie man Regionen nennt, in denen nicht die Kommunisten an der Macht sind (dann sind es Diktaturen), sondern in denen es einigermaßen demokratisch aussieht, die am Welthandel teilnehmen, in der UNO sitzen, kapitalistische Marktwirtschaft betreiben, den Denkmalschutz respektieren und ein international beachtetes Spielfilmschaffen haben – in denen die Herrschenden aber doch machen, was sie wollen.

Und recht hat er! Der Funke der Freiheit scheint auch in meiner Region Uckermark/Barnim, bis rüber nach Schwedt und rauf nach Prenzlau sozusagen auf dem Sprung zu sein. Wir ächzen unter der Autokratie schmerbäuchiger SPD-Landräte und der kleinen Duodezfürsten, die die Stadtwerke, Zoos und andere Zweckbetriebe von Bernau, Eberswalde oder Angermünde unter ihrer Knute haben. Wie in Kairo gibt es bei uns viele gut ausgebildete junge Leute – Floristen mit Schweißerbrief, Fliesenleger mit Gabelstaplerschein und Zahnarzthelferinnen mit weißblonder Hochfrisur – die keinen Sinn mehr in ihrem Leben finden und sich würdelos in Schwarzarbeit verdingen oder auf dem Markt in Eberswalde in hartem Wettbewerb mit algerischen Händlern Gürtel und Hausschuhe anpreisen. Das Faß ist kurz vorm Überlaufen. Bleibt denen nur die waghalsige Flucht nach Lampedusa? Manchmal sieht man schon Grüppchen von ihnen an den Tankstellen, wie sie sich im hüpfenden Gebrüll ihrer arabischen Vorbilder üben, die Hände zum Victoryfinger recken und »The Game is over« brüllen. Auch bei uns wird der Funke der Freiheit über das world wide web weitergetragen. Unsere Schneeglöckchen-Revolution (wird man sie einmal so nennen?) spielt sich auch auf Facebook ab. »Schnülli« zum Beispiel – ein zwischen Eberswalde und Finowfurt sattsam bekannter Revolutionsführer – schreibt in seinem Blog: »War gestern wieder auf der Piste in Spechthausen und hab mich von den Weibern melken lassen aber nüscht zum saufen« – eine Diktion von brachialer revolutionärer Authentizität, die nicht nur an das Bild vom Funken der Freiheit, sondern auch an die Redewendung »einen Funken Verstand« denken läßt.

Was können wir für die Freiheit in unserer Region jetzt tun? Dasselbe, wie für die Freiheit in Tunesien. Westerwelle bittet alle Menschen, die für Freiheit einstehen, jetzt als Touristen für mindestens zehn Tage die sattsam bekannten tunesischen Urlaubsknäste zu buchen und sich dort schon beim Einchecken im Sinne der Demokratie zu äußern (etwa mit den Worten: »Kein warmes Wasser im Hotel? Wir suchen einen Konsens.«) Denn dort finden die jungen tunesischen IT-Ingenieure, Architekten, Ärzte und Juristen als Masseure, Reinigungskräfte und Kamelführer ihre Erfüllung in einem besseren Leben. So spüren sie, daß die Freiheit sich für sie lohnt.

Analog gilt das für unsere Region. Die ganze Ecke nördlich von Bernau könnte dringend einen selbstragenden Aufschwung durch den Tourismus gebrauchen. In unserer Not würden wir sogar Araber beherbergen, solange sie sich still verhalten, nachts das Treppenlicht nicht brennen lassen und nicht dauernd Funken schlagen.

Junge Welt, 17. Februar 2011

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