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… Tankstellen brennten?

… Tankstellen brennten?

Dieser Konjunktiv II Präte­ritum aktiv, liebe Kinder, erscheint auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich. Dabei ist doch bekannt, daß Benzin, welches an besagten Tankstellen gehandelt wird, eine leicht entzündliche Substanz ist. Also, nur keine Scheu, auch einen noch fremd anmutenden Konjunktiv gelegentlich einmal in praxi anzuwenden! Ein überraschend verwandter Konjunktiv ist wie ein neuer Morgen! Ein mutig verwirklichter Konjunktiv bereichert nicht nur unsere Sprache, sondern – wie Linguisten der Sorbonne kürzlich in einem Feldversuch in ihren alten nordafrikanischen Kolonien herausgefunden haben – auch »unser« Gefühlsleben, neuerdings auch gern »Empfindungs­tiefe« genannt.

Deshalb hier der Tankstellen-Konjunktiv, wie er von nun an in Grammatiken genannt werden wird, in seiner vollen Schönheit – er hat es nämlich in sich: Was wäre,

– wenn ich brennte (fragt die Tankstelle voller Bangnis ihren alten Tankwart, der immer beteuert, daß er an Benzin »gar nischt« verdient),

– wenn du brenntest (fragt drohend der »Wutbürger« – Neologismus aus »Benzinwut« von Bild und »Bürgerwut« von Ernst Moritz Arndt, 1769–1860 – seine Tankstelle, an der nicht mal die Luftuhr funktioniert),

– wenn er/sie/es brennten (orakelt der Linkspartei-Politiker, der natürlich fürchtet, eine oder viele brennende Tankstellen könnten einen sogen. »Flächenbrand« auslösen, wie er das 1972 im Grundkurs »Brände vermeiden – Volkseigentum schützen« gelernt hat),

– wenn ihr brenntet (frage ich, und zwar euch, ihr Leser, von denen ich meine, daß ihr für eine gute Sache ruhig ein wenig brennen, wenigstens glimmen könntet),

– wenn sie brennten.

Wenn Tankstellen brennten,

– müßte – und da darf es kein Vertun geben! – sofort gelöscht werden, und zwar, liebe junge Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr, keinesfalls mit Wasser!

– würden sofort staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen werden, die letztlich in Showprozesse mündeten,

– würde sich der Benzinpreis um keinen Cent bewegen, wenn doch, dann nicht wegen des Feuers und zwar nach oben,

– würde es nicht nur im Umkreis der brennenden Tankstellen meßbar wärmer, sondern auch in den Herzen. Denn brennende Tankstellen sind, neben allem, was sie sonst noch so sind, »ein Zeichen«, und zwar ein loderndes.

Ein Zeichen dafür,

– daß Benzin eine leichtentzündliche Flüssigkeit ist,

– daß die Tankstelle jemand angezündet haben muß,

– daß die »Benzinwut«, wie jede Wut, irrational (nicht vernfünftig) ist,

– daß sich die Benzinwutbürger nicht anders zu helfen wissen,

– daß ein schönes, hohes Feuer schön aussieht, insonderheit des Nachts,

– daß der »Funke der Freiheit« (MdA Dr. Westerwelle) der »Jasminrevolution« (eben jener) nun auch die Tankstellen erreicht hat.

Das Gezeter um E10 ist natürlich ein Ablenkungsmanöver. Es soll die Konsumenten heillos in die Diskussion verwickeln, wie man den Mineralölmultis bei der klimatischen Rettung unserer schönen Erde helfen kann. Zum Schluß wird die Aufforderung stehen, das grundkapitalistische Wechselspiel von Preis, Angebot und Nachfrage durch moralisch selbstlosen Erwerb überteuerter Benzinkreationen »listig« zum Wohle des Weltklimas zu durchbrechen – wie wir ja schon dauernd aufgefordert werden, »listig« möglichst teuere Nahrungsmittel zu kaufen, um der Nahrungsmittelindustrie, die alles immer billiger macht, auf schwejksche Weise ein Schnippchen zu schlagen.

Seit gestern ergeht im Netz die Aufforderung, zwei bestimmte Tankstellenketten zu boykottieren, um auf diese Weise das Preisgefüge ins Wanken zu bringen. Das ist Klein-Mäxchen-Kram! Die Kapitalreserven der Konzerne sind so groß, daß sie ein mühsam organisierter lokaler Boykott nicht jucken dürfte. Nein, es gibt nur eine Lösung …

Aber wenn sie gebrannt haben würden (Konjunktiv II Futur II Aktiv), wäre wenige Wochen später alles wieder beim alten. Wenn sie gebrannt haben werden (Konjunktiv I Futur II Aktiv) – fragen wir uns dann vielleicht, was wir als nächstes anzünden werden?

Doch wenn sie gebrannt hätten (Konjunktiv II Plusquamperfekt Aktiv), hätten wir es wenigstens mal ausprobiert.

So. Und jetzt fahre ich erst mal Tanken.

Junge Welt, 11. März 2011

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