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… die Araber nur die 89er Revolution nachspielen würden?

… die Araber nur die 89er Revolution nachspielen würden?

Die arabischen Massen sind offensichtlich momentan auf Krawall gebürstet. Aber warum? Für »unseren Ägypten-Experten« bzw. »unseren Spezialisten für die Problematik des Nahen Ostens« bzw. für »unseren Islam-Kenner«, die jetzt überall in den Sendern auftauchen, ist das eine ungemütliche Situation. Denn sie fühlen sich bedrängt: »Es drängt sich einem förmlich der Vergleich mit der friedlichen Revolu­tion von 1989 auf« oder »die Erinnerungen an Leipzig vor zwanzig Jahren, als das Volk gegen seine Peiniger auf die Straße ging, werden wieder wach«.

Das geht übrigens ganz rasch mit diesen Erinnerungen, sie stellen sich nur schlafend, wie eine dicke Hauskatze, sind dann jedoch plötzlich putzmunter. Kürzlich erst, als das Stuttgarter Kleinbürgertum sich Sorgen um den Verkehrswert seiner Immobilien machte, mit Kastanien nach Ordnungshütern warf und viel Wasser ins Gesicht bekam. Da waren das auch »Bilder, wie bei den Polizeieinsätzen gegen die friedlichen Demonstranten von 1989« (dumm nur, daß es Wasserwerferattacken damals gar nicht gegeben hat).

Vieles spricht dafür, daß die Ägypter auch einfach einmal Leipzig spielen wollen. Das fällt ihnen relativ leicht, weil viele von ihnen arbeitslos sind, was die Leipziger vor 1989 nicht waren, weswegen sie ihre Revolution auf den Feierabend legen mußten. Dafür haben die Ägypter, soweit man das von hier aus sehen kann, jede Menge Folterkeller. Da denkt man unwillkürlich an den Knast in Hohenschönhausen oder die »Paraden des Soldatenliedes« im alten Friedrichstadtpalast.

Außerdem haben sie von der Stasi das flächendeckende Spitzelsystem übernommen, das jüngst Michel Friedman in »Hart aber fair« (ARD) packend schilderte: Jede Sippe in Ägypten, sagte der Nah-Ost-Experte sinngemäß, habe einen gehabt, der mitgehört und Familienangehörige ins Gefängnis gebracht habe. Das sind just die gleichen Formulierungen, die Friedman bei seinen Stand-up-Kommentaren auf einem TV-Nachrichtensender einfallen, wenn er düster die Herkunft der Linkspartei-Kommunisten beschreibt (nämlich aus ostdeutschen Sippen, in denen immer einer mitgehört hat).

Schließlich kann man ja wohl nicht übersehen, daß Mubarak dem Diktator Honecker wie aus dem Gesicht geschnitten ist und auch eine unbeliebte Gattin hat. Auch der tunesische Diktator hatte eine sehr, sehr unbeliebte Gattin (hat sie sogar noch, ist aber kein Diktator mehr). Ungeliebte Gattinnen führen offenbar zu friedlichen Revolutionen. Hier schält sich ein Gesetz der Geschichte heraus: Überall auf der Welt werden die Völker über kurz oder lang Helmut Kohls Erbe erfüllen und Revolutionen zum Sturz des Ehepaars Honecker und der Herstellung moderner demokratischer Ausbeutungsverhältnisse nach dem Vorbild von 1989 nachspielen.

Unvergessen beispielsweise die friedliche »orange Revolution« in Kiew und umliegenden Dörfern: Aus den Folterkellern des Regimes durch die Fernsehkameras westlicher Stationen ans Licht gebracht, sollten die Massen mit vielen bunten Schaubildern und Motivwagen einen Karneval der neugewonnen Lebensfreude unter dem Motto »Leipzig grüßt seine Gäste« aufführen. Der Umzug blieb dann irgendwo stecken, weil die Ukraine sich nicht mit der BRD vereinigen konnte.

Katastrophal endete der Aufstand der Bürgerrechtler unter Führung deutscher Logistikexperten kürzlich in Weißrußland. Auch dort gibt es einen wunderbaren Honecker, gibt es Folterkeller der Stasi und Sippen, die durchsetzt sind. Aber dem Volke fehlte der »Wutfaktor«, um es wie Bild zu sagen. Außerdem mangelte es an zweierlei: an charismatischen Führern vom Schlage Werner Schulz, Konrad Weiß und Bärbel Bohley – und an der D-Mark.

Die winkt in Ägypten auch nicht. Kann es also dort überhaupt gutgehen? Werden Westerwelles Träume von einem Ägypten, das so schön wie Deutschland ist, jemals wahr?

Keine Ahnung. Nur eins ist klar: Stuttgart, Tunesien, Ägypten und was noch so alles kommt sind schallende Ohrfeigen für das Honecker-Regime.

Junge Welt, 04. Februar 2011

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