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… die DDR an ihrem Ende in einem Zustand gewesen wäre, in dem die FDP heute ist?

… die DDR an ihrem Ende in einem Zustand gewesen wäre, in dem die FDP heute ist?

So einer DDR würde keiner eine Träne nachweinen. Wie – der DDR weint sowieso keiner eine Träne nach – auch wenn sie nicht so ähnlich gewesen wäre, wie die FDP heute ist? Na ja, ich weiß nicht … Die Funktionäre der DDR, jedenfalls die im Politbüro saßen, waren ungeschickt, sprechunfähig, kulturlos, desinteressiert, leutselig, ängstlich und borniert. Sie waren wie Sindermann und Inge Lange. Sie waren auch cholerisch wie Günter Mittag. Vielleicht waren sie korrupt – allerdings in bescheidenen sozialistischen Maßstäben. Manchmal waren sie arschkalt, grundaggressiv und zynisch wie Schabowski. Sie hatten nur wenige Fragen. Eigentlich hatten sie nur die Machtfrage. Manche meinten es immer nur gut, wie Egon Krenz. Sie litten unter einem Überschuß an Visionen zur Menschheitsbeglückung. Das heißt – eigentlich litten nicht sie, sondern wir. Sie mochten Jagdausflüge, Stimmungsschunkeln bei Jugendtreffen und langanhaltenden »stehenden Beifall«, in den sich Hochrufe mischten. Erotisch waren sie auf Eisläuferinnen und Schlagersternchen mit dünnen Stimmchen orientiert.

Das ist Westerwelle nicht. Gegen die Gleichsetzung mit Westerwelle muß ich jeden meiner alten Genossen, auch den fiesesten, intrigantesten (wenn er das liest, weiß er, daß ich ihn meine) in Schutz nehmen. Nicht nur die Gleichsetzung, schon der Vergleich ist eine Zumutung. Westerwelle ist ein Sozialrassist. Alles, was nicht an der Bonner juristischen Fakultät und in schlagenden Verbindungen sozialisiert wurde, verfällt seinem Haß. Er hat kein Welt-Bild (und so was wird Außenminister). Er hat auch kein Menschenbild, sondern nur ein Bild von Guido. Es gibt buchstäblich nichts, was er positiv erreichen will – auch emsigste Recherche bringt keine Äußerung von ihm ans Licht, aus der so etwas wie ein Plan seines politischen Handelns erkennbar wäre (der »Liberalismus« kommt ihm wie gerufen, mit dem kann man jedem politischen Reflex einen »Ismus« unterlegen). Er ist an der Gesellschaft und den Menschen, die da leben, gar nicht interessiert. Er ist nur an sich selbst interessiert. Sein Impuls ist es, »es« »denen« »mal zu zeigen«. Am nächsten bei sich war er in diesem Jahr, als er – in der »römischen Dekadenz« heillos verheddert – krähen durfte: »Ihr kauft mir den Schneid nicht ab!« Schneid! Schneid ist Westerwelle.

Hochfahrend, eitel, beleidigend, rasch beleidigt, zynisch, nachtragend und nachtretend, arschkalt. Ich kenne zwei, drei DDR-Bürgerrechtler, die ihm mit dieser personellen Grundausstattung das Wasser reichen könnten (die meisten aber waren und sind sehr lieb). Ein armer Irrer aus der DDR, den ich, und sei es für das Äquivalent einer lauen Pointe, einen »Westerwelle« nennen könnte, fällt mir nicht ein.

War die DDR mit ihrer führenden Partei als Vorhut an der Spitze jemals in einem Zustand, in dem die FDP heute ist? Nun, die DDR war nie eine Dreiprozentpartei. Selbst wenn man einmal annähme, 50 Prozent aller Wählerstimmen seien gefälscht worden, kämen die Einheitskandidaten immer noch auf 40 Prozent – das natürlich nur, weil die Leute Angst hatten, vor dem Wahllokal erschossen zu werden. Wohl wahr: In der verordneten Öffentlichkeit der DDR herrschten Personenkult, und es durfte praktisch nur übers Wetter geredet werden, und auch das nur, wenn es schön war. Aber die Leute redeten über die DDR und zwar dauernd, nur nicht, wenn sie schliefen. Wer redet über die FDP? Zum Schluß gingen Abertausende auf die Straße, um in letzter Minute die DDR noch irgendwie zu retten. Wer würde für die FDP auch nur den Mittagsschlaf unterbrechen? Viele Leute flohen aus der DDR. Hat die FDP noch so viele Ausreisewillige, daß man einen Sonderzug bestellen müßte? Als die DDR untergegangen worden war, feierten die Menschen, einige weinten. Egal war es keinem. Wenn nächste Woche die FDP mit dem Bund der Vertriebenen fusionieren würde – wäre ein Schulterzucken nicht schon eine übertriebene Reaktion? Und wer wüßte in zwanzig Jahren noch, wer oder was die FDP war? Oder, um es mit Norbert Blüm zu sagen: Die FDP ist tot – Jesus lebt.

Junge Welt, 17. Dezember 2010

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