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… er ihnen in die Hände fiele?

… er ihnen in die Hände fiele?

Wie wir Kommunisten mit Verrätern umgegangen sind, weiß ich. Wenn die FDP Vergeltung nur halb so blutig betriebe, wäre es noch blutig genug. Ist es naiv zu hoffen, daß der Liberalismus ein großes Herz hat und Nachsicht übt? Gehört das Verzeihen nach stattgehabter Buße aber nicht eher in die christliche Hutschachtel? Ich fürchte, der deutsche Liberalismus mit dem Antlitz Westerwelles und Lindners ist besonders konsequent und ahne auch, warum: Nicht aus Rache, sondern weil die Freiheit so ein verletzliches Pflänzchen ist, das ganz leicht im Eisewind des Verrats erfrieren kann.

Gestern war ich im »Info-Point« in der FDP-Zentrale, die von der Parteiführung gern »Freiheitsladen« genannt wird. Es herrschte die blanke Hysterie. Blasse Jungen kamen herein und schrien unvermittelt die Wände an: »Wenn wir den erwischen!«

»Wen?«, fragte ich (früher habe ich immer »Wer-Wen?« gefragt).

»Wenn wir das wüßten, aber dann…!«, schrie mich ein anderer an, und der erste ergänzte trocken mit einem ziemlich poetischen Satz: »Dann hätte er ausgehaucht!«

Vermutlich gibt es im Thomas-Dehler-Haus einige junge Männer, die bereit wären, dem Verräter den Hals umzudrehen. Wenn es schon im »Info-Point« derart rappelt, wie muß es erst im Gedärm der Zentrale zugehen! Es ist die Parteizentrale der »kurzen Wege«, denn wenn es um die Freiheit geht, muß auf Zuruf entschieden werden können. Das heißt, Westerwelle, die Homburger, der Lindner und, wenn er da ist, der Niebel, sind nur durch halbhohe Pappwände getrennt und belauern einander rund um die Uhr.

Soviel ist inzwischen in der politischen Kaste in Berlin bekannt: Fast alles, was auf Wikileaks über deutsche Politiker zu lesen ist, stammt aus einer einzigen, sehr engagierten Quelle – die forschen, zum Teil humorigen Charakterisierungen der Merkel, von Schäuble, Seehofer und anderen. Besondere Mühe scheint sich der Spitzel indes bei der Beschreibung des FDP-Personals gegeben zu haben. Als ob er mit denen eine Rechnung offen hätte, so pointiert geht er zu Werke. Westerwelle ist mit den Adjektiven, die seinem Namen jetzt vorangestellt werden, weltweit politisch erledigt und müßte als Außenminister zurückgezogen werden. Niebel ist nicht nur politisch, sondern als Person »tot«. Nur einer aus dieser Clique kommt in der Beurteilung auffällig gut weg, wird gar als aufsteigender Stern der deutschen Politik gehandelt…

Aus der US-Botschaft »sickerte durch«, daß ihr bester IM ein Spitzenfunktionär der FDP sei. Das sickerte natürlich nicht durch, sondern wurde »gestreut«: Die Amerikaner wollen ihren Stall sauber halten – was können sie dafür, wenn sich ein übereifriger, ehrgeiziger Jungpolitiker ihnen mit allerlei Latrinengeschwätz als Quelle aufdrängt! Die Amerikaner sorgen auch für Details: Jener Junghase (die Homburger nennt ihn nur noch »das Schwein«) habe an den Koalitionsverhandlungen 2009 teilgenommen und wörtlich an die Amerikaner berichtet. Er sei sogar eine Art Protokollführer und »entzückt« über dieses Amt gewesen. Seitens der FDP haben neun Leute an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen. Jung war davon nur einer, bemerkenswert jung sogar…

Brüderle hat am Mittwoch vorgeschlagen, »bestimmte Leute in der Parteiführung« sollten eine eidesstattliche Erklärung abgeben. Dann könne man den Spion wenigstens wegen Falschbeeidung ins Gefängnis stecken. Der Vorschlag blieb jedoch in der allgemeinen Hysterie stecken. Als ich im »Info-Point« freundlich fragte, wer denn bei den Koalitionsverhandlungen seitens der FDP der Protokollant gewesen sei, wurde mir für mein freiheitliches Engagement gedankt und ich wurde um Verständnis gebeten – man müsse jetzt schließen, der Kammerjäger komme.

Vielleicht lassen sie ja Milde walten. Schließlich hat »das Schwein« ja nicht an den KGB verraten, sondern an den besten Freund, den es für einen Liberalen gibt.

Junge Welt, 03. Dezember 2010

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