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… wir dabei wären?

… wir dabei wären?

Am Mittwoch fand bei der Bundeskanzlerin abermals ein Integrationsgipfel statt. Eine Art Rapport, wie man hörte. Man wollte wohl die Leichen zusammensammeln, die am Rande der von Sarrazin losgetretenen Rasssendiskussion liegengeblieben waren. Bekanntlich war die öffentliche Erörterung der Frage, welche Rassen wir in Deutschland dulden wollen, »längst überfällig« gewesen, und wir haben sie der wissenschaftlichen Unbestechlichkeit dieses Eugenikers und den dienstfertigen Leitmedien zu verdanken. Außerdem sollte es beim Gipfel darum gehen, das vollständige Schulversagen von Kindern fremdrassiger Herkunft auf das Schulversagerniveau von arischen Kindern »herunterzubrechen« (Vorlage: Ministerin Böhmer).

Wenn es trotzdem kein Rassengipfel oder Fremde-Kulturkreise-Gipfel gewesen sein sollte (Seehofer beispielsweise macht lieber in Kulturkreise als in Rassen), dann war es auf jeden Fall ein Gipfel der Minoritäten, die sich über ihren jeweiligen Glauben definieren. Boykotte von Kirchen und Verbänden gab es diesmal keine.

Meine Glaubensrichtung – »Religion« will ich ausdrücklich nicht sagen – war jedoch wieder nicht dabei, war wieder nicht geladen, wurde von der politischen Klasse wieder – methodisch, wie ich argwöhne – ignoriert. Meine Glaubensbrüder und -schwestern und ich kommen in dieser Gesellschaft überhaupt nicht vor, leben in finsterster Diaspora und wohlweislich ohne öffentliches Bekenntnis. Wir haben keine Kirchen und keine Feiertage, fressen und saufen ohne Katechismus und meiden religiöse Waschungen. Wir gehen nicht auf Kirchentage, wo es sowieso nur häßliche Frauen gibt. Eigentlich reden wir nur im World ­Wide Web miteinander. Oder in unserem illegalen Samisdat »Der Antichrist«. Im Alltag erkennen wir einander an der scheuen Ironie, wenn wieder ein Minister bei seiner Vereidigung säuselt »So wahr mir Gott helfe!« oder morgens im Deutschlandfunk ein Pfarre onaniert. Und nun also wisset: Ich bin Atheist!

Unsere Minderheit ist die größte in Deutschland, die größte in Europa, die größte in der Welt. Aber eben Minderheit. Auf dem Kontinent leben die prozentual meisten von uns in Schweden, dem Homeland der Schwedenpornos. Aber wenn wir dereinst unser eigenes Israel erschaffen müßten, dann würden wir unsere Kibbuzim in Japan errichten, dem atheistischsten Land der Welt.

Im Selbstverständnis des deutschen Staates existieren wir überhaupt nicht (aber natürlich für das Finanzamt). Die Ignoranz schmerzt und radikalisiert zugleich. Hätte nicht der berufsmäßige Freund aller Götter und Religionen, Christian Wulff, dekretieren müssen: »Deutschland ist christlich-jüdisch. Aber auch der Islam gehört dazu. Vor allem jedoch schätzen wir die Kultur, die Werte und das dialektisch-wissenschaftliche Denken und den Fleiß unserer Atheistinnen und Atheisten«? Nichts davon, kein Wort!

Unser Leben hierzulande ist schwer. Unsere Gefühle werden oft verletzt. Manchmal wird uns »automatisch« Kirchensteuer abgezogen. Das ist, als würde uns zwangsweise die Vorhaut amputiert. An kirchlichen Feiertagen sitzen wir zu Hause und betrinken uns oft bis zu einem Stadium, in dem selbst wir anfangen zu beten. Wir werden diskriminiert: Ich könnte nie Reporter bei Bild werden, ohne einem Aberglauben anzugehören. Politik und Medien versuchen immer wieder, uns zu missionieren und in die Kirchen zu treiben, um uns zu lehren, wie man unbefleckt empfängt. Unsere Steuergelder werden breit auf Kirchenfunk, theologische Fakultäten, Kindergärten und Schulen für kleine Christen und auf das christliche Begräbnis unserer (zwar getauften aber im Herzen) atheistischen Freundin Loki Schmidt verstreut. Wir sind von Kreuzen umstellt, vor allem am Kamener Kreuz. Es wird uns immer wieder gesagt, daß es diesen gewissen HERRN gibt. Aber wenn wir herausschreien, daß wir auf jegliche Götter scheißen, begehen wir Verfassungsbruch.

Der Atheismus muß endlich als Nichtglaubensgemeinschaft gesetzlich mit den anderen religiös definierten Minoritäten gleichgestellt werden. Unsere Propheten Karl Marx und Ludwig Feuerbach dürfen nicht durch Karikaturen lächerlich gemacht werden. Wir beanspruchen Sitz und Stimme beim Integrationsgipfel und einen Stuhl im Stiftungsrat für Vertreibung und Rennsteigwandern. Wenn nicht, werden eines Tages eure Gebetsimmobilien brennen. Oder wir geben beim nächsten Integrationsgipfel ein Päckchen an der Pforte ab.

Junge Welt, 05. November 2010

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