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… die Scharia zu Deutschland gehörte?

…die Scharia zu Deutschland gehörte?

Lothar und Ulli, mit denen ich den Donnerstag abend in einer Muckibude in Weißensee bzw. im Buena Vista in der Bizetstraße verbringe, wundern sich, warum ich so geschwollen frage. Ich soll doch einfach sagen, wenn ich was zu laufen hätte, wäre ja nicht zum ersten Mal, daß ich ihnen ein Schweigegelübde abnähme. Ob sie denn hübsch sei, die Kleine (Ulli sagt »die Schnecke«), und ob ich denn bescheuert sei, was mit einer Türkin anzufangen, wo man da doch gleich die Neuköllner Brüder (Ulli sagt »die ganze Mischpoke«) auf dem und ihre charakteristischen Messer am Hals habe.

Nein, sage ich, die Scharia habe es in sich. Oho!, sagen sie, das höre sich ja interessant an. »Habt ihr ignoranten Wichte denn den Wulff nicht gehört?«, frage ich und weihe sie in die politische Großwetterlage ein: Der Herr Bundespräsident hat zum Tag der Befreiung am 3. Oktober eine lauwarme Rede gehalten, die von geschwollenen Metphysismen überquoll; »Wunder«, »Dankbarkeit« und »Glück« wechselten in beachtlicher Schlagzahl. Aber er stand ziemlich unter Druck. Weil er seit seiner Wahl praktisch nichts gearbeitet hatte und sich die Deutschen schon fragen, wofür er sein Geld bekommt, wollte er mit der Rede eine Art Fleißarbeit abliefern. Idealerweise sollte sie eine sog. Debatte auslösen, noch besser einen sog. Diskurs, zumindest wollte er damit in die Feuilletons kommen. (»Aha«, sagte Ulli, »ein bißchen auf die Kacke hau’n.«) Deshalb griff er zu einem Trick: Er erklärte die Integration der Ossis kurzerhand für erledigt– wobei nicht ganz klar wurde, ob erfolgreich erledigt oder einfach abgebrochen – und verkündete die Absicht, künftig restlos alle hierzulande ansässigen Muslime integrieren zu wollen, koste es, was es wolle. Sinngemäß schränkte er ein, daß diese Leute nur, bitteschön, nicht ihre Frauen verhauen und ihre Schwestern erstechen sollen. Dann der verhängnisvolle Satz: Der Islam gehört zu Deutschland wie die Siebentageadventisten, die Vertriebenen, Kampfhundehalter und Veganer.

Die Leserschaft bestimmter Blätter (junge Welt zählt nicht dazu) ist seitdem nicht mehr zu beruhigen, und es ist zu befürchten, daß sie bald auf allen Palmen respektive Koniferen im Abstandsgrün sitzen. Im Internet kotzen sie sich aus. Zwischen 60 und 100 Prozent fordern die Ersetzung Wulffs durch Sarrazin auf dem Präsidentenstuhl und knappe 120 Prozent teilen ausdrücklich nicht die Ansicht, daß der Islam zu Deutschland gehöre – im Gegenteil: Er gehört raus. Vor allem wegen der Scharia. Und siehe da: Diesen Leuten muß man nicht erklären, was (also nicht »wer«) die Scharia ist!

Ein relativ komplexer Zusammenhang – etwa so kompliziert wie der Zusammenhang von Leitzins und Tageszins – wird in bestimmten Blättern gehandelt wie Großmutters Alltagswissen. Nämlich der, daß der Islam nicht einfach ein Aberglaube ist, sondern ein staatliches, politisches, gesellschaftliches und moralisches System. Die Todestrafe auf das Abnudeln von Lena-Meyer-Landruth-Titeln und erst recht auf Puffbesuch, Ehebruch mit Legehennen und Witze über den Propheten wäre – wenn der Islam zu Deutschland gehörte – geltendes Recht auch in Berlin-Weißensee. Mit Steinigung auf dem Antonplatz und allem Pipapo!

Da lachen der Lothar, der Ulli und ich und verschlucken eine Runde Kurze. Dunkel erinnere ich mich, daß es in Wulffs Deutschland bereits Richter gegeben hat, die Gewalt in einer türkischen Ehe mit der Begründung tolerieren wollten, das sei eben islamisches Recht. Aber das erzähle ich ihnen nicht. Doch daß ein wichtiges Prinzip der Scharia der Brauch ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, das erzähle ich. Ulli lebt auf. Er ist vor zwei Wochen von seinem Vermieter grob in die Türfüllung geschubst worden – es ging um sein Fahrrad im Treppenhaus. Das nagt an ihm. Er freut sich auf die Aussicht, dem Kerl Gleiches mit Gleichem vergelten zu können.

Die beiden beschließen, Wulff einen Brief mit dem Satz »Herr Wulff, Sie sind auch unser Präsident!« zu schreiben. Doch als ich ihnen sage, daß Wulff die Neigung hegt, solche Sätze bei Staatsakten zu zitieren, lassen sie von ihrem Vorhaben ab.

Junge Welt, 09. Oktober 2010

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