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… die Rente mit einem Zwangsdienst begänne?

… die Rente mit einem Zwangsdienst begänne?

Kaum ist man den Überhitzungen der Pubertät entronnen, muß man sich anderen Zumutungen zuwenden. Die Ministerin für familiären Frieden, Schwangerschaftsbeschwerden und Rentnerhygiene hat kürzlich einen Denkanstoß ausgestoßen. Gewöhnlich zieht sie ihre Denkanstöße (etwa vier im Monat) nach etwa dreißig Sekunden zurück (sie wechselt dazu den Kamerastandort), saugt sie sozusagen retour, wenn sie in den Gesichtern ihrer Abteilungs- und Unterabteilungsleiter, ihres Sprechers, Fahrers und ihres Yogatrainers Rat- bzw. Fassungslosig- bzw. Lustlosigkeit liest. Sie liest geschwind. Einmal sagte sie, als sie die solcherart beseelten Gesichter entziffert hatte (es waren fünf Sekunden verstrichen), sie nenne ihre Denkanstöße ja deshalb Denkanstöße (und die Vokabel sei durchaus »in Gänsefüßchen« zu denken), weil sie anstößig sein sollten, man sich gestoßen fühlen solle, am Musikantenknochen oder an der Hüfte. Diese Stoßerei und Knufferei sei »ihr Stil«. Sie sagte tatsächlich Stil!

Den letzten Stoß hat sie nicht zurückgezogen, so daß man fürchten muß, er vagabundiert durchs politische Berlin und wird bald mit dem gewohnten Pro & Contra von den Lobbyisten aller Interessenlagen hin und her gerollt. Sie könne sich vorstellen, sagte die Ministerin versonnen, und ein jungfräulich anmutendes Lächeln umspielte ihre Züge, daß am Ende des Lebens oder, positiv ausgedrückt, am Beginn eines Lebens in völliger Apathie und des Wartens auf den sicheren Tod, also der Rente, ein soziales Pflichtjahr stehen könne. Ein Arbeitsdienst am Mitmenschen, der gespeist sein würde von der unendlich reichen Lebenserfahrung der Dienenden, ihrer Sensibilität, Empathie, ihrer Kenntnis der sieben Chakren und ihrer Neigung zu absoluter Uneigennützigkeit – also mit Euro nicht zu bezahlen, sondern höchstens, um die Diener in ihrer Selbstlosigkeit nicht zu kränken, mit einem Zuschlag auf die Rente, eventuell »in« Kartoffeln oder Früchten der Jahreszeit oder mit einem Präsentkorb (Eierlikör und Haftkrem für die Dritten).

Im Unterschied zu ihren früheren Stößen, die einfach nur blöd waren, holt dieser seinen Drive aus der aktuellen Debatte, ja aus einem Debattenbündel. Er ist fachlich sauber plaziert: 1. Die Wehrpflicht fällt weg und mit ihr der Wehrersatzdienst, 2. um die Rente mit 67 ist es nicht gut bestellt, weil für zu wenige Alte Arbeit da ist, 3. die Demographie: Alte, die in ihren fruchtbaren Jahren zu wenige und nur mit Unlust Kinder gezeugt haben, können nicht erwarten, im Alter von jungen Leuten gepampert zu werden – das sollen die Alten mit den Alten mal schön selber tun. 4. die Klimakatastrophe, 5. der deutsche Exportüberschuß etc. pp.

Ein Denkanstoß, der für so viele Probleme zumindest eine Teillösung verspricht, wie soll der aufzuhalten sein!

Langsam befreunde ich mich mit der Vorstellung, an der Schwelle zum Alter das Pflegerische an mir zu entfalten, zu streicheln, zu salben und zu kuscheln. Das ganze lange Leben lang habe ich nur an mich gedacht. Einmal wurde ich sogar nach dem Sex von einer Person als Egoist bezeichnet! Wenn ich von mir aus aktiv werde, kann ich vielleicht im Rahmen einer Initiativbewerbung das Feld meiner sozialen Hingabe noch selber bestimmen. Diese Bewerbung muß selbstverständlich vollständig anonym sein und darf keinerlei Rückschlüsse auf mein Geschlecht u.a. erlauben – ein Denkanstoß der Ministerin, der als bisher einziger Gesetz zu werden droht. »Mensch, der einen sozialen Zwangsdienst ableisten muß, möchte gern in einem Mädchenprojekt mitwirken«, würde ich formulieren. Oder »Zwangsdienstler ungenannt bleiben wollenden Geschlechts sucht helferische Tätigkeit mit Tieren im Rahmen aufsuchender Sozialarbeit«. Natürlich sind Hunde gemeint, aber um die vielen anderen Tiere nicht zu diskriminieren, würde ich vorsichtig formulieren.

Ja, das Jahr beim Arbeitsdienst wird auch Schönes bringen, wenn man für die Jugend oder für Schäferhunde Gutes tun darf. Auf keinen Fall will ich eine alte Frau zum Klo führen, um anschließend von einer alten Frau aufs Klo geführt zu werden. Wenn das nicht passiert, dann, Frau Schröder, freue ich mich darauf.

Junge Welt, 28. August 2010

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