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… das Meinen verboten wäre?

… das Meinen verboten wäre?

Das Meinen ist eine der ältesten Kulturtechniken neben dem Klöppeln, dem Mohnanbau und dem Coitus interruptus. Etwa bis zum Zeitpunkt, da Walther von der Vogelweide lebte, war es unbekannt. Man hielt sich an Tatsachen (»schône sanc diu nahtegal«) oder erzählte von sich (»Ich könnte schon wieder« oder »Der dreißigjährige Krieg dauert für mein Empfinden aber lange.«) Die Kommunikation war karg, die Sätze waren knapp.

Mit der Lutherbibel fing die Unart an, eine Meinung zu haben. Luther verbreitete unzählige Meinungen, getarnt als humoristische Sprüche, und behauptete – was heute zum Meinen unbedingt dazugehört – dem Volke die Meinung abgelauscht (ihm »aufs Maul geschaut«) zu haben und eigentlich nur auszusprechen, was dieses auszusprechen nicht in der Lage oder nicht beherzt genug ist. Luther war der erste aus der parasitären Kaste der Meiner und Hendryk M. Broder oder Pastor Schorlemmer werden nicht die letzten sein. Der Buchdruck verlangte plötzlich nach Meinungen, denn allein mit Tatsachen und Abbildungen waren Bücher nicht dick zu kriegen. Meinungsmedien entstanden, von denen der wöchentliche Freitag offenbar eins der wenigen aus ferner Zeit überlieferten ist, das »Meinungsrauschen« wurde zum Tinnitus der Gesellschaft. Andererseits ist das Meinen für das Entstehen von Gesellschaften unerläßlich. Über Meinungen – und sei es zum Wetter, zum Bierpreis oder zu Kachelmann – entsteht Gemeinschaft, Differenz und Struktur. Und so suchte sich das Meinen leicht konsumierbare Formen – ohne Talkshows würde die Zivilisation wahrscheinlich auf die Entwicklungsstufe des Ständestaates zurückfallen. Eines Tages, mitten in der Berliner Republik des Gerhard Schröder, reichte es aber nicht mehr, ständig zu meinen. Die Clique, die damals den Staat kujonierte, verlangte, neben dem Alkohol- und Frauenkonsum, nach potenzierter Meinung, um sich am Leben zu fühlen. Das Meinungsrauschen als Meinungsrausch. So entstand der Diskurs, der nichts anderes ist als ein Wettrennen von Meinungen und Meinungsmachern, von dem stets bekannt ist, wie es ausgeht: Wer die Macht hat, hat das Sagen.

Heute findet man fast kein einfaches Meinen mehr. Meinen ist heute rasch ein Glaubensbekenntnis. Öffentliches Reden von Politikern fängt häufig mit »also, ich glaube, …« an. Das Glauben und das Meinen wurden unzertrennlich. Das eine befeuert das andere. Wird eine Meinung zum Glaubensbekenntnis, so gilt sie als noch weniger antastbar, sie ist keinesfalls mehr strittig. Denn wer den Glauben angreift, begeht schwerste Körper- und Seelenverletzung, vom Verfassungsbruch ganz zu schweigen.

Eine Zeit lang – etwa 1000 Jahre – galten Meinungen als gefährlich. Man konnte fürs Meinen in den Tod geschickt werden. Keine Meinung, sondern nur »so ein Gefühl« zu haben, ermöglichte oder erleichterte die persönliche Existenz ungemein. Aber selbst die autoritären Gesellschaften des letzten Jahrhunderts kamen dahinter, daß es wichtiger war, Menschen und Tatsachen zu unterdrücken als Meinungen. Etwas zu sagen, was man weiß, braucht Mut. Meinen ist wohlfeil, nebbich. Als klar wurde, daß Meinungen desto ungefährlicher werden, je mehr es davon gibt, wurde die Meinungsfreiheit zur buntesten Fahne der bürgerlichen Gesellschaft. Und weil jeder meinen durfte, was er wollte, brach das goldene Zeitalter an. Für die Meinungsfreiheit läßt sich wunderbar leicht »kämpfen«, Gauck darf vom »Mut zur Meinung« faseln, Sarrazin darf zum Volkshelden werden, denn »er meint ja nur«, ein dänischer Zeichner darf Mohammed als Bombe auf zwei Beinen zeichnen, und Frau Merkel darf sich erinnern, daß sie »früher« (wir wissen schon) gar keine Meinung haben durfte. In dieser Woche meint ganz Deutschland über Meinungsfreiheit. Aber was oben ist bleibt oben, und von unten kommt nichts mehr.

Wenn das Meinen verboten würde, wäre es plötzlich still. Das wichtige Wichten und werthaltige Werten und Kommentieren würde aufhören. Küppersbusch, Friedman, Schwarzer – alles Versorgungsfälle (ich natürlich auch). Es entstünde ein Bedarf Tatsachen: Was sind das für Leute, die uns regieren? Und in wessen Interesse? Und wer wurde wegen Meinens hingerichtet?

Junge Welt, 10. September 2010

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