Blog

… wir die Märkte nicht hätten?

.. wir die Märkte nicht hätten?

Die Märkte sind wahrscheinlich nicht ganz schuldlos. Andererseits reagieren sie äußerst sensibel. Die Märkte legen ständig ihren Finger in die Wunde. Bestimmte Dinge verzeihen die Märkte einfach nicht. Man darf die Märkte jedoch nicht überfordern. Sie haben weitgehend das Vertrauen verloren, und es bedarf geraume Zeit, bis sie wieder Vertrauen gewinnen. Die Märkte sehen überhaupt nicht ein, warum sie aus der »griechischen Tragödie« geschwächt hervorgehen bzw. leer ausgehen sollen. Die Märkte sind in ihrer Interessenlage äußerst konzise. Die Märkte wandern nun einmal nicht auf dem Jakobsweg! Für die Märkte ist das Bett bereitet, jedoch wollen sie noch nicht hineinspringen. Wenn die Märkte diesmal Nein sagen, haben sie diesmal Nein gesagt.

Man darf die Märkte nicht überfordern, reizen, für dumm verkaufen, für ein Mädcheninternat halten, oder glauben, sie würden auf diffuse Gemengelagen hierzulande sofort damit reagieren, die Ärmel hochzukrempeln. Es hat gar keinen Sinn, ihnen ein Leckerli vorzuhalten – bekanntlich springen sie nicht über jedes Stöckchen. In ihrer ganzen Art sind die Märkte und wie sie sich verhalten bzw. nicht verhalten, wie sie sich artikulieren bzw. schweigen und sogar wie sie scheinbar (natürlich nur scheinbar!) abtauchen, aber dann doch eine Ratingagentur mit Briefkasten und Außenklo in Hilversum für sich sprechen lassen, ein untrügliches Zeichen. Ein Seismograph. Ein Frühwarnsystem für Fälle, in denen alles zu spät ist. Eine Tsunami-Warnblinkanlage, deren Blinken allerdings nur die Delphine unter den Ratingagenturen hören können. Oder Keinohrhasen.

Man kann den Märkten nichts vormachen. Sie rechnen sehr genau. Allerdings – wenn sie nicht in Stimmung sind, sind sie nicht in Stimmung, und zwar definitiv. Einerseits geht es also um nackte Zahlen, andererseits ist das zu neunundneunzig Prozent Psychologie. Die Psychologie der Märkte ist noch wenig erschlossen. Manchmal sind die Märkte regelrecht verstimmt, um nicht zu sagen depressiv. Andermal wieder scheint ihnen der Frühling in die Glieder zu fahren. Sie ziehen dann Dinger durch, um es einmal salopp zu formulieren – da kann man nur mit dem Kopf und dem ganzen Körper schütteln. Als seien sie noch in der analen Phase. Mit unaufgearbeiteten Traumata und frühkindlichem Mißbrauch kann man das nicht erklären, jedenfalls nicht mit dem berühmten Syllogismus des Aristoteles: Alle Menschen sind sterblich (Prämisse 1), alle Griechen sind Menschen (Prämisse 2) – folglich sind alle Griechen sterblich. So einfach ist es nämlich nicht, versetzt man sich einmal in die Haut der Märkte. Und das müssen wir – ob wir wollen oder nicht.

Daß die Märkte derzeit ein unangenehmes Gefühl haben, darf man wohl annehmen (entsprechende sprachliche Auslassungen ihrerseits gibt es dazu indes nicht). Ihre Gefühlslage changiert (wenn sie nicht sogar chargiert) zwischen einerseits und andererseits und überhaupt (bzw. sowieso). Dem sind wir natürlich nicht hilflos ausgeliefert. Mit unserer Bundesregierung an der Spitze können wir viel dafür tun.

Mehr aber auch nicht. Sie richten sich weder nach Lafontaine noch nach Schäuble. Sie sind unbestechlich, es sei denn mit sehr viel Geld in Form unbezwinglicher Wertpapiere. Sie brauchen keine Regierungen, keine Demokratie, keine Abgeordneten, keine Staaten, keine Kriege, keine Presse, kein Weißes Haus. Sie brauchen nicht einmal ein Büro oder einen Faxanschluß. Sie haben keine E-Mail-Adresse. Sie sind die Weltregierung, von der wir nur hoffen können, daß sie uns leben läßt. Denn eigentlich brauchen sie auch uns nicht.

Keiner weiß, was ist, wenn die Märkte Diarrhoe haben. Ob es dann warm über uns kommt? Seien wir doch mal spontan – lassen wir uns überraschen!

Junge Welt, 30. April 2010

This Post Has 0 Comments

Leave A Reply