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… wir rekrutieren würden?

… wir rekrutieren würden?

Na, mal langsam. Zuerst sind ja mal die Freiwilligen und die »Freiwilligen« an der Reihe. Denn eines steht doch so fest, wie Karsai im Präsidentenamt: Wenn Obama seine Armee jetzt auf rund eine Million (gerechnet inklusive der Zivilisten in den rückwärtigen Diensten, der Krankenschwestern und der Mädels im Puff) erweitern will, dann kann sich die deutsche Heimatfront noch so zieren – wir werden nicht umhinkommen, den »deutschen Beitrag« personell zu erweitern. (Und das alles, um den Abzug vorzubereiten – das ist schon witzig.)

Wenn man bedenkt, daß um die 40 Prozent der deutschen Erwachsenen vom Krieg, namentlich vom Feldherrn zu Guttenberg begeistert sind, kann man mit einer hohen Zahl von Kriegsfreiwilligen rechnen. Die Wehrersatzämter gehen seit 1914 von der Formel aus: Anzahl der Kriegsbegeisterten geteilt durch 4,5 ist gleich die Anzahl der kriegstauglich gemusterten Frontfreiwilligen. Es dürfte also einen immensen Freiwilligendruck geben. Zumal, wenn keine besonderen Qualifikationen für den Einsatz erforderlich sind. Guttenberg wird sich hüten, die Trauben zu hoch zu hängen. Denn er ahnt natürlich, was auch Obama ahnt und die Taliban bereits fürsorglich angekündigt haben: Zur Feier des Abzugs im Sommer 2011 wird es ein schreckliches Feuerwerk geben. Es wäre zu dumm, wenn Deutschland da hochqualifizierte Leistungsträger verlöre, wie Soziologieprofessoren, Pastoren, Altenpfleger oder einen der fünf Wirtschaftsweisen.

Schon lange vor Obamas Ankündigung, noch einmal jede Menge Menschen in diesen Krieg hineinziehen zu wollen, hat es in Deutschland regelrecht Freiwilligenrevolten gegeben. Am Donnerstag schilderte der noch immer sichtlich beeindruckte bayerische Innenminister im Frühstücksfernsehen, was sich vor seinem Ministerium abgespielt hat. Hunderte Männer der Volkssturmgeneration, zum Teil mit ihren Enkeln an der Hand, begehrten laut und wahrscheinlich von Bier beseelt, Verwendung als Hilfspolizisten in Afghanistan oder, wenn das nicht möglich sei, als Ern­tehelfer bei der Mohnernte zu finden. Einige fuchtelten mit Zertifikaten von Kampfsportstudios oder mit frischen AIDS-Tests herum. Tatsächlich werden die Polizeimannschaften jetzt mit freiwilligen Bayern aufgefüllt – aber so kann es ja in einem gut verwalteten Gemeinwesen auch nicht gehen.

Zuerst sollten wir einmal die »Freiwilligen« ziehen, also jene Gesellen, denen das vielleicht nicht gleich von selber einfallen würde, die aber eine Bringeschuld gegenüber der Gesellschaft abzutragen haben. Ich denke da an Hartz-IV-Empfänger, die bekanntlich zu Lasten der öffentlichen Hand existieren. Aber auch an Leute, die sich moralisch zu rehabilitieren hätten: SED-Mitglieder der letzten Stunde, enttarnte IM der Brandenburger Linkspartei oder Manager, die ihre Bude (zum Teil willentlich) in die Insolvenz gesteuert haben. Eine »Freiwilligen«-Einheit, auf diese Weise zustande gekommen, könnte außerhalb des Rechtsmittels der Strafandrohung in der Zivilgesellschaft einen gewissen Druck zu konformem Verhalten auslösen, erst recht dann, wenn sich herumspricht, daß es in Afghanistan direkten Weges in den Tod geht. Ich gebe zu, Vergleichbares gab es schon mal. Allerdings in einer Diktatur, da ist es etwas anderes.

Die Mobilmachung kann natürlich nicht als stummer Verwaltungsakt und schon gar nicht geheim erfolgen. Sie muß, soll die Kriegsbeteiligung in der gesellschaftlichen Psyche Früchte tragen, ein emotionaler kollektiver Akt sein, auch wenn die Sollzahlen längst erbracht sein sollten. Ich denke an Galas mit Carmen Nebel und Florian Silbereisen und Ulrich Wickert, Lippi und Verona Feldbusch am Rekrutierungstelefon. Aber auch Winterhilfssammlungen der Volkssolidarität, Erasco-Eintopfsonntage, öffentliche Goldabgabe mit Unzenwaage usw. hätten starke identitätsstiftende Implikationen. Alles in allem hätte die Kanzlerin recht, wenn sie in ihrer bekannt kühnen Art formulieren würde, die Republik stünde mit einer erweiterten Kriegsbeteiligung vor einer großen Herausforderung.

Ich würde natürlich auch ein paar Wochen rüber gehen, um dort für die hiesige Bild der Frau die Kolumne »Was wäre, wenn…?« zu implementieren.

Junge Welt, 04. Dezember 2009

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