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… wenn Schiller gefunden worden wäre?

… wenn Schiller gefunden worden wäre?

Jetzt ist es amtlich – Schillers Gebeine bleiben absent. Das ist nicht nur bitter für die deutsche Literatur, weil als Beigabe für nichtdotierte Literaturpreise keine »Schiller-Brokken« vergeben werden können. Es ist gleichermaßen ein Nachteil für die Optimierung von Entscheidungsprozessen bei der Besetzung von Spitzenpositionen. Fragen wie »Hätte Schiller Feuilletonchef der FAZ werden dürfen?«, »Ist Schiller für einen Wachdienst auf der BND-Baustelle in Berlin bandscheibenmäßig beweglich genug gewesen?«, »Hätte die Gefahr bestanden, daß Schiller nach einer Fest­anstellung im Marbacher Schiller-Archiv hinterhältig schwanger geworden wäre?«, »Wäre Schiller im öffentlichen Dienst verwendbar gewesen (Stasivita?)?« müssen unbeantwortet bleiben.

Denn um solche, aus Arbeitgebersicht unvermeidbare Fragestellungen handelt es sich bei Neueinstellungen. Kein Unternehmer würde den Schiller im Sack kaufen. Das System, beispielsweise eine Kassenmieze für Lidl, eine Zweitbesetzung für einen gutgehenden Erotikclub, einen Weihnachtsmann oder einen Hausmeister für den Hundeabrichtungsplatz zu finden, wird immer ausgefeilter. Denn eine Fehlentscheidung im Personalmanagement kann böse Folgen haben. Immer häufiger vergeben Chefetagen deshalb den Auftrag zur Personalfindung an spezielle Agenturen, die ihr volles Honorar erst erhalten, wenn der Kandidat die Probezeit erfolgreich bestanden hat.

Die Nachfolge von Hartmut Mehdorn bei der Bahn durch einen gewissen Herrn Grube ist beispielsweise durch eine schwäbische Assessment­agentur vorbereitet worden. Grube wurde mit drei anderen Kandidaten (Sarrazin, der nach einer neuen Aufgabe suchte, Diepgen, der schon lange auf Wiederverwendung hofft, und Krenz) in ein kleines, nobles Waldhotel geladen, wo Rollenspiele absolviert werden mußten, wie »Stellen Sie sich vor, Sie sind Ihre Schwiegermutter und Ihr Wellensittich ist eben verstorben und die Nachbarin kommt zu Besuch« (also Grube als seine Schwiegermutter, Sarrazin als Nachbarin, Krenz als Wellensittich und Diepgen als die Kuckucksuhr in der Küche der Schwiegermutter). Außerdem benutzen Personalscouts weitere aufregende Methoden, weil diese nicht verboten sind: die Beurteilung des Bewerbers anhand der »Charaktermerkmale des Kopfes« (von Urvater Lavater ersonnen und von den Faschisten bei ihrer Talentefindung, einschließlich der Entwicklung spe­zieller Meßinstrumente, zur Perfektion getrieben), die Handschriftenanalyse, die Ganganalyse und das Pendel. (Beim Pendel werden alle Bewerber in die Mitte eines Saales geführt, ein mit einem Hundertkilogewicht versehenes Pendel wird in Bewegung versetzt und wer stehen bleibt, kann sich Hoffnung auf Einstellung machen.)

»Hätten wir damals schon die Techniken zur Verfügung gehabt, wie wir sie heute kennen«, sagt der Chef der schwäbischen Agentur in einem Interview mit Cicero, »wer weiß, vielleicht hätten wir dann für die Bahn den Krenz genommen.«

Tatsächlich finden heute Bewerbungsgespräche in einer Art statt, daß man Gespräche in ironische Anführungszeichen setzen muß. Der Bewerber/die Bewerberin muß frische Unterwäsche tragen und ein Badetuch mitbringen, muß unterschreiben, sich gesund zu fühlen und körperlichen Eingriffen ausdrücklich zustimmen. Außerdem ist bei Verletzung der Hauptschlagader auf jegliche Beschwerde zu verzichten. Dann werden den Kandidaten Pröbchen sämtlicher Körperflüssigkeiten entnommen, dazu Haare und ein winziges Stück Hornhaut (am Auge, nicht am großen Zeh). Ein Zahnstatus und ein Seh- und Hörtest sowie das Auf-dem-Strich-Gehen mit geschlossenen Augen schließen das Bewerbungs-»Gespräch« ab.

»Der Körper erzählt uns alles über die Eignung eines Bewerbers, mehr jedenfalls, als dieser uns je über sich belügen könnte«, sagt der Assessment-Profi voller Humor. Am Schluß wissen die Prüfer sogar, wie lange das untersuchte Objekt Pension beziehen wird.

Das Abzapfen und die Analyse der Körperflüssigkeiten indes ist aufwendig und mühsam (Sperma fällt, namentlich bei Frauen, manchmal gar nicht an). Ideal wären wenige Gramm Knochensubstanz aus der Schädelbasis. Aber welcher Bewerber spendet die? Schiller hätte müssen – wenn er nicht verlorengegangen wäre!

Junge Welt, 20. November 2009

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