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… kein Unterricht ausfiele?

… kein Unterricht ausfiele?

Wo nahmen die Diktatoren Ulbricht/Honecker das Geld für die Schulen her? Womit bezahlten sie die Lehrer, die täglich pünktlich erschienen und die Stunden hielten, die in der Stundentafel standen? Wieso kam, wenn Fräulein Leisegang sich in den Schwangerschaftsurlaub verabschiedete und sich bei der Gelegenheit herausstellte, daß sie nicht mehr vollständig Fräulein war, eine Vertretungslehrerin, die prompt ein Verhältnis mit Werklehrer Stopfkuchen begann? Wieso fiel nie Musik aus? Im Gegenteil – wieso wurde gesungen (sämtlich kommunistisches Liedgut) und musiziert, daß die Schule wackelte? Wer bezahlte die Instrumente für die Combo und den verkrachten Mimen vom Stadttheater, der den Singeklub leitete und den Mädchen nach den Brüstchen trachtete? Wieso fiel nie Sport aus? Im Gegenteil – Sport war heilig, die Fußballer und die Basketballer hatten einen Ruf zu verlieren in der Stadt. Arbeitsgemeinschaften werkelten – von den jungen Botanikern über die Astronomen bis zum Häkelkurs für die dickeren Mädchen. Man fuhr ins Lager (natürlich, Lager!) der jungen Techniker, ins Russischlager (die Westler mögen erschaudern) und ins Spezialistenlager der Mathegenies. Woher kam das Geld?

Das Geld muß knapp gewesen sein, denn der Haushalt der Diktatur verschlang immense Summen für den militärischen und Sicherheitsapparat und für künstlich niedrig gehaltene Lebensmittelpreise, Verkehrstarife und Mieten. Und jeder kann sich heute natürlich denken, warum die Diktatur nicht an der Schule sparte – sie wollte sich die jungen Menschen krallen, die in erwachsener Form als schrecklich an der Seele verkrüppelte Kreaturen heute noch auf der Muttererde wandeln, nachdem sie »zum Dank« vor zwanzig Jahren eine »friedliche Revolution« absolvierten.

Kürzlich ließ Frau Professor Johanna Wanka, die Hoffnung der Brandenburger CDU, ihren Wahlkampfclou blitzen. Sie zerrte einen zarten achtjährigen Knaben, den Potsdamer Noah, vors noch verhüllte Großplakat, und als das Tuch fiel, lächelte da Noah zehnfach überlebensgroß. Und darauf stand: »Jede Stunde zählt«. Die CDU gibt eine Unterrichtsgarantie. In Brandenburg werden eine Million Unterrichtstunden nicht planmäßig gehalten, eine viertel Million fallen vollständig aus. An vielen Schulen gibt es keinen regulären Sportunterricht und keinen Musikunterricht.

Der Staat garantiert Schulbildung seit 200 Jahren. Heute soll man in Brandenburg CDU wählen, damit man bekommt, was selbstverständliche zivilisatorische Errungenschaft ist. Man soll den CDU-Klüngel füttern, damit die Kinder zwei mal fünfundvierzig Minuten Sport in der Woche treiben dürfen. Man soll Frau Wanka als Retterin feiern, die Dame, die offensichtlich bisher tatenlos zusah, wie die Schule auf den Hund gekommen ist.

Jeden Morgen fahre ich an einer Privatschule vorüber. Da müssen die Eltern nicht danke und nicht bitte sagen, und der kleine Noah, wäre er dort eingeschult, müßte sich nicht von der Wanka schubsen lassen. Dort zahlen sie selbst. Die Mütter fahren ihre Kinder in großen Autos vor. Die Stadt schickt einen Polizisten, der hält den Verkehr an, damit die Elitekinder wohlgemut aus den Karossen springen können. Es wird umarmt und geherzt. Jeder Tag ist Kindergeburtstag für alle. Die Schulleiterin steht strahlend auf der Freitreppe und empfängt die kleinen Herrschaften wie Hollywoodgrößen. Mütter in wallenden Kleidern tragen laut und immerzu lachend Kuchen, Blumen und bunte Getränke herein. Die Mädchen stecken in Kleidchen und sind nicht gepierct, die Jungen haben Kragen umgelegt, als sei täglich Erstkommunion. Im Hof steht ein komplettes Segelschiff, darauf zu toben. Zwischen den hohen Bäumen spannen sich Strickleitern, auf denen man den Tag verschaukeln kann.

Man kann nur hoffen, daß Noahs Eltern für ihn und seinen Bruder noch die Kurve kriegen.

Junge Welt, 11. September 2009

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