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… es einen Flashmob gäbe?

… es einen Flashmob gäbe?

Am Mittwoch war das Westfernsehen seltsam erregt. Schon ab Nachmittag versprach die ARD eine nie gesehene Unerhörtheit für ihre »News-Schiene«. Das Ereignis habe mit der Kanzlerin persönlich zu tun und was sich um sie herum zusammenbraue. Das Internet, dieses schnelle, aufregende, unberechenbare Medium spiele teuflischerweise auch eine Rolle. Man konnte auf einen Attentatsversuch hoffen, der auf studiVz von einem zum Islam konvertierten Theologiestundenten angekündigt worden war. Na gut, vielleicht noch keinen Versuch, sonst wären ja alle Sendungen unterbrochen worden und das Radio hätte Chopin gespielt. Aber wenigstens doch die Andeutung eines Versuchs in einer abgefangenen E-Mail vom Computer einer Waldorfschule nahe Essen!

Als Plasberg (unerträglich! Warum bleibt so einer gesund?!) mit geheucheltem Interesse beim zwergwüchsigen Kasper Tom Buroh nachfragte, was es denn Feines für die »Tagesthemen« gäbe, ließ dieser, bebend vor Vorfreude, die Katze aus dem Sack: Ein Flash Mob habe stattgefunden! Er versuchte eine erste Übersetzung: Ein »Blitzauflauf« habe sich ereignet! Und zwar blitzartig!

Es sollte den Eindruck machen, als habe die ARD in ihrem unendlichen Investigationismus einen Aufruhr entdeckt, an Ort und Stelle niedergeschlagen und sofort das Programm umgestellt. Dann sah man die Bescherung. Bei irgend einer Wahlrede Merkels unter freiem Himmel (sie trug, wie mittwochs immer, das Lindgrüne) hatten sich etwa ein Dutzend käufliche, adrett gekleidete, sich jugendlich gebende Subjekte der Piratenpartei versammelt, schwenkten orange Lappen und riefen, quasi im Blutrausch, mehrmals gemeinschaftlich (bei den Jungpionieren sagten wir »im Sprechchor«) »yeah!, yeah!«, wobei sie spontan selbstgebastelte Pappen hochhielten, auf denen ebenfalls »yeah!« zu lesen war. Sie lachten verlegen – waren sichtlich noch nicht darin geübt, sich zum Affen  zu machen. Dann mußten sie abermals rufen, weil der Einspieler sonst zu kurz geworden wäre, diesmal »Grundgesetz! Grundgesetz!« Der Haufen war so schütter besetzt, daß man innerhalb der nächsten drei »Tagesthemen«-Minuten alle Teilnehmer der simulierten Revolte per Nahaufnahme kennenlernen konnte.

Und jetzt reagierte die Kanzlerin, und siehe: Die Kamera war mit vollem Ton genau in diesem Moment dabei! Merkel schaute kurz ins Manuskript und sagte dann mit humorvoller, sympathischer, mütterlicher, von einer neckischen Geste gestützter Souveränität, die jungen Leute, die ihr jetzt nicht zuhörten, könnten ihre Rede dann ja im Internet ansehen. Im Internet! Wie pfiffig! Wie modern! Und was für eine erstklassige Retourkutsche an die armen Wichte, die sich angeblich im Internet verabredet hatten, um dreimal für die Kamera »yeah!« zu brüllen!

Ein (wahrscheinlich schlecht bezahlter) Kleindarsteller aus der Wahlzentrale der CDU mußte nun noch »am Rande der Kundgebung« einerseits seine Freude ausdrücken, wie großartig der Kindergeburtstag funktioniert hatte, andererseits Empörung heucheln, »daß sich die Kanzlerin nicht mit unseren Inhalten auseinandersetzt hat«.

Anschließend sprach ein Kommentator, der Zwilling von von Guttenberg, gefühlte zehn Minuten lang wohlgesetzt und wichtig über die ungeheure mobilisierende Kraft des Internets, ohne dessen Walten und Wirken das eben gesehene spektakuläre Ereignis gar nicht möglich gewesen wäre. Das Ganze roch sogar durch die Mattscheibe nach einer Inszenierung des Kanzleramts. Eine Kanzlerin, so populär, daß sich junge Menschen für sie im Internet verabreden und sich sogar eine Blitzversammlung ausdenken, um von ihr bemerkt und mit Humor bedacht zu werden! Schöner geht es nicht.

In Wahrheit hat das Internet keinerlei subversives Potential. Seit klar ist, daß jede E-Mail praktisch in Echtzeit mitgelesen und, falls nötig, entschlüsselt werden kann, gibt es keinen Grund mehr, sich zur Verabredung subversiver, im Idealfall illegaler Handlungen nicht eines Festnetzanschlusses zu bedienen oder einander die feindlichen Absichten auf der Straße zuzurufen. Twittern ist eigentlich nur noch kindisch, ja eklig, seit klar ist, daß es von potenten Interessenten, wie Parteien, Pharmakonzernen, Geheimdiensten, der Al Quaida und den Kampfverbänden der deutschen Milchbauern, zur Manipulation von Massen benutzt werden kann. Das Internet ist verkommen zu einem Spielzeug für Pubertierende, zum Medium des Versandhandels oder für Alte, die ihre Krankheiten und die Öffnungszeiten des Bereitschaftsarztes nachlesen wollen. Die Revolution muß man anders organisieren. Keine Ahnung, wie – jedenfalls nicht so, daß die Kanzlerin sie schon im Manuskript hat.

Junge Welt, 25. September 2009

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