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… wenn Steinmeier aus Mitleid gewählt würde?

Was wäre, wenn … … Steinmeier aus Mitleid gewählt würde?

 Sehr alte Leute im Dorf behaupten, sie hätten schon einmal einen Reichskanzler aus Mitleid gewählt. Weil er so traurig aussah und mit über 50 noch keine Frau berührt hatte. War’s der Ebert? War’s der Müller? Oder war es der österreichische Kanzler Schuschnigg? Sie bringen alles durcheinander. Jedenfalls ist daran die Weimarer Demokratie zugrunde gegangen. Sagen sie.

Wenn Steinmeier aus Mitleid zum Kanzler gewählt würde, nähme er dann die Wahl überhaupt an? Natürlich. Ich glaube, ihm wäre es wurscht, warum er Kanzler würde (und schon deshalb hat er kein Mitleid verdient). Er würde sich das Mitleid ein bißchen zurechtlügen und beispielsweise sagen, die Leute hätten ihn gewählt, weil sie eine sieche Sozialdemokratie nicht länger ertragen wollten. Also nicht aus Mitleid, sondern aus Solidarität. Daraus erwüchse sein wichtiger politischer Auftrag, würde er sagen. Also irgendwie würde er das hinkriegen.

Ich beobachte, daß das Mitleid mit Steinmeier wächst, je heftiger seine Sympathiepunkte schrumpfen. Wenn es eine Infratest-Sonntagsfrage gäbe – wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären, mit wem empfänden Sie das größte Mitleid –, Steinmeier läge uneinholbar vorn. Die Ursache liegt tief in der Eigentümlichkeit des Mitleidens, der Empathie begründet. Die Menschen ziehen den Schmerz, von dem sie glauben, daß Steinmeier ihn in diesen Tagen empfindet, auf sich. Als würde Steinmeier die flache Hand auf die glühende Herdplatte legen und sagen: Da muß ich eben durch. So sehr brennt den Menschen die Hand!

Für einen Verlierertypen empfindet man kein Mitleid. Man sagt: So ist er eben, und organisiert soziale Stützen, eine Theraphie oder Wohngeldzuschuß. Aber ein Siegertyp, der unabwendbar in die Niederlage rennt, setzt beim Publikum Phantomschmerz frei – oder Schadenfreude. Bei Westerwelle Schadenfreude.

Ist Steinmeier ein Siegertyp? Na, etwas. Mit Schröder könnte man mehr mitleiden. Die Episode, wie Schröder am Wahlabend angetrunken im Wahltalk des Fernsehens sitzt und Frau Merkel anblafft, sie möge gefälligst die Kirche im Dorf lassen, wird unseren Kindern als Clownerie weitererzählt. Der Clown ist eine tragische Figur. Es lohnt sich, über ihn zu lachen und um ihn zu weinen.

Steinmeier hat sich mühsam vom blassen Beamten auf dem Kanzleramtsflur zum »Yes, I can«-Männlein aufgebrezelt. Das verdient sportliche Anerkennung. Dahinter lauert das Mitleid. Hinzu kommt, daß er als ehrliche Haut gilt. Man traut ihm eher Feigheit als Falschheit zu. Feigheit wird verziehen, weil alle Menschen feige sind. Falschheit würde verachtet. Steinmeier wird nicht verachtet. Schon wird er stiller, kleinlaut, man hört ihn nicht mehr röhren. Kein gutes Zeichen … Ich ertappe mich beim Nachdenken darüber, wie man ihn trösten könnte. Mag er Schokolade?

Eine Umfrage unter Kollegen ergab, daß nur Männer mit ihm leiden, nicht Frauen. Männer kennen den Krieg vom Fußball her. Sie antizipieren die Schmach einer sportlichen Niederlage, den Prestigeverlust beim anderen Geschlecht. Sie leiden mit dem Mann auch, weil er häßlich ist. Sie wissen, wie das runterzieht, von Geburt an häßlich zu sein.

Die Frauen würden mit Steinmeier auch nicht leiden, wenn er hübscher wäre. Denn Steinmeier hat eine asexuelle Aura. Das Schlimmste, was er sich antun konnte, war das Gruppenfoto im Laufschritt durchs Gelände mit den zum Teil possierlich anzuschauenden Damen seines Schattenkabinetts. Er trug die Jacke offen, und ein unentschuldbarer Bauch ging ihm voran. Es war der Bauch von Wilhelm Pieck, ein väterlicher, aber asexueller Bauch. Was will der mit den Frauen, was zwingt er Manuela Schwesig? fragten sich die Frauen. Wenn Wählerinnen mit den Schattenkabinettsfrauen eher leiden als mit dem »Herausforderer«, ist alles aus.

Man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß am Wahlabend vor allem Frauen nicht für Steinmeier gestimmt haben werden. (Experten werden daraufhin behaupten, Merkel hätte einen Geschlechtsbonus eingeheimst, eine Interpretation, die natürlich daneben liegen wird.) Um Mitleidskanzler zu werden, braucht Steinmeier jedoch nicht die Stimmen der Frauen, die der Männer reichen hin.

Wenn er mich fragen würde – ich würde meinem Freund Frank-Walter abraten, sich mit Mitleidsstimmen zum Kanzler ausrufen zu lassen. Regieren heißt auch enttäuschen. Enttäuschte Hoffnung mögen die Wähler ertragen, enttäuschtes Mitleid nicht. Enttäuschtes Mitleid ist schlimmer, als hätte man jemandem Geld geborgt und weiß, daß man es nie zurückbekommt. Was, mit diesem Kerl habe ich Mitleid gehabt? werden die Wähler ausrufen.

Auf der Mitleidswelle sollte niemand Kanzler werden müssen. Wenn kein regulärer Weg mehr möglich ist, kann die Partei nicht antreten. Trotzdem hoffe ich, daß es wenigstens auf diese Tour klappt. Aus purem Mitleid.

Junge Welt, 14. August 2009

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