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… wenn die Presse gleichgeschaltet wäre?

Was wäre, wenn … … die Presse gleichgeschaltet wäre?

Gleichgeschaltet darf man »eigentlich« nicht sagen, es ist ein Pfuiwort. Denn es stammt aus einer Zeit, als die Deutschen einem sehr bösen Mann zuliebe vieles tun mußten, von dem sie hinterher sagten, daß es keinen Spaß gemacht habe. Gleichgeschaltet darf man nicht einmal denken.

Vor allem aber darf man nicht denken, daß die Presse (die Medien) ohnehin gleichgeschaltet sei. Denn zum Beispiel gibt es ja das Internet, wo jeder die Nachrichten von Spiegel oder Bild, auch das Bild-Girl, auf den Bildschirm kriegen und dazu sagen und schreiben kann, was er will. Im Prinzip wird man allerdings den Eindruck nicht los, daß alle dasselbe schreiben oder senden (ein paar Ausnahmen mal beiseite), was wohl daran liegt, daß alle Leser, Hörer und Zuschauer ein tiefes gemeinsames Interesse eint: schönes Wetter.

Trotzdem – zur richtigen Gleichschaltung gebricht es an einer Behörde. Noch nie machte sich ihre Abwesenheit so schmerzlich bemerkbar wie in diesen Wochen und Jahren (bis 31.12.2010, null Uhr), für die regierungsseitig umfassende, unaufhörliche Feierlichkeiten und zahlreiche Besinnungstage angesetzt sind. Es flutscht einfach nicht. Wir haben bald November, und die Mauer fällt zum zwanzigsten Mal – doch die Kampagne will einfach keine Fahrt aufnehmen.

Noch immer haben keine Kollektive den Kampf um den Namen Bärbel Bohley aufgenommen. Alte IM haben sich nicht neu geoutet. Außer der ekligen Geschichte des Stanislaw Tillich gibt es eigentlich keine Neuigkeiten, die die DDR noch ein bißchen schrecklicher erscheinen lassen. Aber wer weiß – vielleicht werden ja in der Nacht vom 8. zum 9. November noch Kinderleichen in einem ehemaligen Ferienlager der Jungpioniere gefunden.

Die Leserschaft will die Opfergeschichten jetzt schon nicht mehr haben. Es sind ja die Opfer, die nun schon fast zwanzig Jahre lang über den Bildschirm hüpfen. Die Leute wollen den Jubelkram nicht, die Dankbarkeitssülze. Die Wessis nicht, weil mit dem Mauerfall ihr Elend begann, die Ossis, weil sie in das nächste kamen. Die Auflagen und die Quoten leiden, die Annoncenkunden werden zickig.

In Berlin kann man schön beobachten, was passiert, wenn eine Kamera oder ein Mikrofon auftaucht – die Passanten stieben auseinander! Bloß nicht noch einmal stammeln müssen, wie schön jetzt die Freiheit ist und wie schlimm es war, das Leben auf Bajonetten und annähernd ohne jegliche Banane! Am Alex verstecken sich Reporterknechte hinter den Bilderwänden der regierungsoffiziellen Propagandaausstellung zum Mauerfall und stürzen sich aus der Deckung auf Hausfrauen, Betrunkene und Rentner.

An den Weihestätten der Revolu­tion – Marienborn, Marienfelde, Ber­nauer Straße, Stasiknast Höhenschönhausen, Bautzen und Bendler Block – lungern nur Schulklassen aus Bayern und Journalisten herum. Täglich muß eine »frische« Widerstands- oder Fluchtgeschichte ins Blatt. Am besten, einer erzählt, wie er schon beim ersten Fluchtversuch erschossen wurde, es dann aber aus Freiheitsdrang noch einmal versuchte und heute wieder im Osten wohnt und seine IMs schikaniert.

Eine ideologische Kommission könnte die Parteijournalisten sofort zu dieser Drecksarbeit verdonnern – und das als besondere Ehre verkaufen. So aber müssen andere Druckmittel her. In einer Berliner Zeitung liefern Autoren Gruselstorys, die ihre baldigen Entlassung aus dem Vertrag als Frei-Fester kommen sehen. Oder Mitarbeiter, die als IM enttarnt wurden, demonstrieren auf diese Weise volle Verwendbarkeit. In einer anderen Redaktion wurde zunächst das Zeilenhonorar für diese »Stoffe« erhöht. Seit das aber der Betriebsrat spitzgekriegt hat und Gleichbehandlung einfordert, ist man dazu übergegangen Tankgutscheine, Präsentkörbe und Türkei-Reisen als Prämie zu vergeben. Ein für seinen flotten Ton geschätztes Organ hat für den Themenbereich »Montagsdemo bis Widervereinigung« eigens eine Kollegin befristet bis Ende 2010 eingestellt, um den Rest der Redaktion von diesen Zumutungen freizuhalten. Sie heißt intern »die Ostnutte« und sagt selbst über sich: »Eigentlich reicht meine Schreibe nur für 20 Zeilen über Umleitungen und Schlaglöcher. Neulich aber hatte ich eine Seite 3 über einen Mann, der seine sieben Kinder an die Kommunisten verloren hat und sich daraufhin zur Frau um­operieren ließ.«

Wenn die Presse gleichgeschaltet wäre, könnten die Zeitungen untereinander ihre Beiträge auch austauschen – gibst du mir deinen Tunnelbau, gebe ich dir den Mauersprung auf Stelzen. Denn selten lesen die Leute zwei Tageszeitungen. Und selbst wenn, das komische Gefühl »das habe ich doch schon irgendwo gelesen« ist ohnehin nicht zu vermeiden.

** Junge Welt, 31. Juli 2009

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