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… ich als Täter geladen würde?

… ich als Täter geladen würde?

Als Täter würde ich schon wollen. Als Opfer – das verbäte ich mir. »Opfer!« sagen die akzelerierten Monster auf dem Schulhof zueinander, wenn alle Verbalinjurien, in denen »Ficken« vorkommt, ausgereizt sind. Ich bin gern Täter. Ich rede im Präsens, denn auf eine Entpflichtung durch den Geheimdienst warte ich noch (ein Kassiberchen, unter der Haustür durchgeschoben, würde reichen: »…Ihr informelles Dienstverhältnis endet mit Wirkung vom 1.8.2010, mit sozialistischem Gruß vom Genossen Minister«). Ich bin so sehr Täter, daß Spiegel und Bild mich vor vielen Jahren, weit im vorigen Jahrhundert, mit dem Satz zitieren durften: »Goethe war ein Schwein, Brecht war ein Schwein, und ich bin auch ein Schwein.« Wenn also jetzt in Brandenburg, wo ich lebe, zu Täter-Opfer-Gesprächen (oder »Opfer-Täter-Gesprächen«, was dem Leid der Opfer besser gerecht werden würde) eingeladen wird, hätte ich gern, daß man mich nicht übersieht.

Das Ziel der noblen Veranstaltung– darauf haben sich mein knuddeliger Ministerpräsident und sein alberner Bischof namens Dröge vorige Woche »verständigt« – soll sein, »die unterschiedlichen Biographien miteinander ins Gespräch zu bringen«. Da würde ich doch gern persönlich anwesend sein, wenn meine Biographie zu quatschen anhebt, vielleicht verplaudert sie sich ja, nennt Namen von Frauen, die mir längst entfallen waren oder redet über meine Hämorrhoiden. Die Herren befanden, für das Biographienpalaver sei es höchste Zeit, weil sonst »der Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährdet« sei. Von den naturbelassenen Klassengegensätzen abgesehen, sollen die Brandenburger lieb zueinander sein, im Anglerverein oder noch besser in der SPD eine traute Gemeinschaft pflegen. Das Ganze soll aber »keinen Schlußstrichcharakter haben«. Das trifft sich gut– einen Schlußstrichcharakter habe ich nämlich auch nicht. Bei strittigen Fragen – z.B. bei Problemen mit der Müllabfuhr oder den gelben Säcken – soll es heißen »sag du jetzt mal deine Meinung aus der Täterperspektive, dann spreche ich als Opfer«. Bei gemeinsamer Teilnahme an SPD-Dorffesten soll es einen Bastelstand von Tätern (»Malen mit Fingerfarben und Tätern«) und eine Hüpfburg von den Opfern (»Die Opferburg«) geben. Nur die Kinder dürfen einen Schlußstrichcharakter haben und gehen, zu wem sie wollen. Aber die Täter sollen dann zu den Dorfkindern sagen: »Ihr wißt schon, an welchem Stand ihr hier seid – wir sind die Täter«.

Ich bin gespannt, wie das läuft. Man wird ins Kirchenbüro geladen. Steht in der Einladung »auf Grund Ihres verbrecherischen Mitwirkens an der zweiten faschistischen Diktatur in Deutschland haben Sie um 8 Uhr im Gemeindehaus vorzusprechen. Personalausweis, Wechselwäsche und Zahnbürste sind mitzubringen«? Oder steht da »nach einem kleinen Programm der Kleinen vom ›Spatzennest‹ wollen wir bei Kaffee und Kuchen gesellig zusammen sein und Sie bitten, Anekdoten aus Ihrer Kundschaftertätigkeit zu erzählen. Anschließend wollen wir zu Akkordeonmelodien von ›Harmonika-Rudi‹ das Tanzbein schwingen«?

Der hiesige Pfarrer ist ein schmieriger Typ, ein Revolutionär der ersten Stunde, der sich besonders der Kinder annimmt. Er sondert wöchentlich unglaublichen christlichen Schwachsinn im Anzeigenblättchen Heimatlicher Sonntag ab. Als Täter darf ich das natürlich nicht sagen, nicht einmal denken, um nicht mein Herrschaftswissen über diesen bigotten Schwachkopf zu aktivieren. Die Moderation des Popen soll »ein Klima schaffen, wo auch die Täter den Mut finden zu reden« (Platzeck). An Folter ist also nicht gedacht, obwohl allein die Anwesenheit der Protokollantin, der Sekretärin des Bürgermeisters, die früher in der SED-Kreisleitung die Winkelemente ausgab, als solche zu werten ist. Wird man mir einen Stuhl anbieten? Und von dem dann, wenn ich wieder raus bin, eine Geruchsprobe ziehen, wie wir Täter das immer gemacht haben? Oder läuft heimlich eine Kamera für Spiegel-TV und die Sendung »Das Tribunal – ein Täter windet sich«?

Gespannt bin ich, wen sie als Opfer anschleppen. Wir haben zwar einige Insolvenzopfer. Aber es dürfte schwer werden, die der Stasi anzuhängen. Und dann haben wir noch die hysterische Dagmar Pomerenke. Die wurde als Kind in die Pionierrepublik »Wilhelm Pieck« verschleppt und ist seitdem nach eigenen Worten »unfähig zu einer längerfristigen, tiefergehenden Bindung«. Dem werde ich mich wohl stellen müssen.

Junge Welt, 25. Juni 2010

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