Blog

… Angela Merkel nicht mit starken Männern könnte?

… Angela Merkel nicht mit starken Männern könnte?

Wir sind uns inzwischen hoffentlich einig, daß in der modernen Welt an die Stelle einstiger altbackener Klasseninteressen – die wiederum von materiellen Verhältnissen, insonderheit den Produktions- und Eigentumsverhältnissen »bestimmt« waren – etwas völlig anderes getreten ist: etwas Luftiges, Fluides, Weiches, Geruchs- und Geschmackloses, das derart konturenlos und flüchtig erscheint, daß es sich sogar einer Benennung dauerhaft entzieht. Es muß nicht gefüttert werden, braucht lediglich Atemluft zum Überleben und manchmal etwas Alkohol und kann bedenkenlos bei der Ganzkörperhygiene mitgewaschen werden. Wahrscheinlich hat es jeder, aber nicht jeder weiß, daß er oder sie es hat. Manche benutzen es ein ganzes Leben lang nicht – das ist dann aber auch ein Leben als Putze, als Nachhilfelehrerin oder Bademeister auf Eineurobasis. Man könnte es »Seele« nennen, wenn die Pfaffen den Begriff nicht besetzt hätten. Oder »Psyche«. Oder »mentale Disposition«, »charakterliche Grundierung« oder – auch hübsch: »Das ungewisse Wollen und das ungewollte Sein«. Seitdem dieses »Es« in die Politik gegangen ist, wurde es plötzlich einfach, sich die Welt zu erklären.

Auf Frau Merkel bezogen, hörte ich kürzlich, es sei eminent wichtig – und zwar für nichts Geringeres als den Fortgang der Weltgeschichte und die Beantwortung der Frage, ob wir in nächster Zukunft verhungern oder doch notdürftig überleben werden – zu wissen, »wie diese Frau tickt«. Ja, an ihrem Ticken, das man selbst dann nicht hören würde, käme man in den Genuß, sein Ohr auf ihren Busen zu legen, hängt die Existenz uralter Reiche und Kulturen. Das geringste Vorhofflimmern im Vestibül zu Merkels mentaler Waffenkammer – und schon bleiben von den Griechen nur tote Dinge: die griechische Philosophie, das Altgriechisch und Ruinen.

Es ist noch nicht lange her, da galt Angela Merkel als »die mächtigste Frau der Welt« (eine Frau mit einer anderen psychischen Verfassung, als die der Merkel, wäre bestimmt verstimmt gewesen – sie als mächtig zu rühmen, zeugt doch nur davon, daß man das Kriterium der Schönheit auf sie nicht anwenden mag). Damals erwartete man von ihr, daß jedes einzelne Ticken ihres mentalen Systems wie eine sich selbst verstärkende energetische Welle rasend schnell um den Erdball läuft, in den brasilianischen Slums die Glühbirnen und im Münchner Englischen Garten die Kastanien anzündet und den chinesischen ABC-Schützen mit kühnem Strich die Haare kämmt. Die Welt schien an ihrer Psyche zu hängen, wie der Säugling an der Mutterbrust.

Heute tickt sie anders, teigig, träge. Die Milch ist versiegt. Die unaufhörliche Sorge um die Erhaltung der Ausbeutungsverhältnisse macht die Merkelsche Seele dünnhäutiger (die Seele hat ja an sich eine nur furchtbar dünne Haut). Es ist auch ganz ungewiß, wie viele Milliarden ihre Psyche, ihr mentaler Code, ihr allerinnerstes Sehnen noch herbeischaffen und wem sie diese schenken wird. Gänzlich obsolet sind, wenn die Psyche »spricht«, natürlich die Fragen: »Warum?« und: »Wem nützt es?« Das innerste Selbst darf man nicht nach Absichten fragen wie einen ungezogenen Schüler.

Ist sie vielleicht ein bißchen bindungsscheu? Neigt ihre Seele dazu, für Monate einzuschlafen, notversorgt mit ein paar SMS ihrer Büroleiterin? Ist sie ödipal kaltgestellt (mit Kohl ist ja nichts mehr los?) Verschließt sie sich in Form von Roland Koch und Friedrich Merz nicht »eigentlich« gegen Herrn Sauer? Kann, wer »als Frau« seinen Sexus verleugnet, die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse zuverlässig stabilisieren und zuverlässig Kriege um Rohstoffe führen? Und – wie eine Zeitung gestern mit versehentlich obszönem Unterton fragte »Kann Merkel nicht mit starken Männern?«

Falls sie nicht mit starken Männern kann, muß die kapitalistische Akkumulation in der Marktwirtschaft völlig neu gedacht werden, Opel und noch mancher ostdeutsche Junge in Afghanistan werden sterben, und die volle Mehrwertsteuer auf Hundefutter ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Psyche! Noch nie war es so einfach, die Verhältnisse zu durchschauen.

Junge Welt, 28. Mai 2010

This Post Has 0 Comments

Leave A Reply