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… sich Frau Merkel hochleben ließe?

… sich Frau Merkel hochleben ließe?

Also etwa anläßlich eines CDU-Parteitags oder zum Abschluß eines Auftritts vor der Bundespressekonferenz oder als finales Zeremoniell bei der Vereidigung von deutschen Afghanistan-Soldaten. Und vielleicht mit folgendem Wortlaut: »Es lebe das heilige (oder herrliche oder gemütliche) Deutschland! Es lebe Angela Merkel! Es lebe ich!«

Das würde vielleicht zunächst Verwunderung hervorrufen. Pofalla würde herbeieilen, um seiner Chefin eine DRK-Decke um die Schultern zu legen. Assistenten würden wild gestikulieren, damit die Kameras abgeschaltet werden. Und dann würde man die offenbar wirre Dame ganz vorsichtig von der Bühne führen, und wer genau hinhört, würde sie aus der Gasse piepsen hören »Es lebe ich!« Was dann folgte, wäre eine qualvolle Phase der Regierungsneubildung, aus der der hinterfotzige Niedersachse triumphierend hervorgehen und lange Jahre regieren, bis auch er eines Tages »Es lebe Christian Wulff« rufen und abgeführt werden würde. Bei uns ruft so was keiner.

Aber denken denken sie es! Keiner der öffentlichen Auftritte von Gerhard Schröder, der nicht mit einem – allerdings stummen – »Es lebe der eloquente, schöne, immer noch dunkelhaarige Acker!« endete. Und bei Helmut Kohl schien eine Bauchstimme unter dem Mantel der Geschichte in jeglichen Schlußbeifall hinein zu brummen: »Ein Hoch auf Helmut Kohl, den lange sträflich unterschätzten Wiedervereiniger aller Deutschen und Gestalter des neuen Europa!«

Aber öffentlich machen sie das nicht, dazu sind sie zu falsch, zu verklemmt und zu scheindemokratisch. Silvio Berlusconi macht das, und dafür lieben wir ihn: »Viva Italia, viva Berlusconi« – in dieser und keiner anderen Reihenfolge! – das geht ihm behende über die schönen Lippen. Was für eine Lendenkraft! Was für ein Gestaltungswille, Führungsanspruch, welch eine Verläßlichkeit. Und was für eine Wahrheitsliebe!

Denn »Viva Berlusconi!« spiegelt nur die Verhältnisse. »Viva Berlusconi« ist fernab vom cäsarischen Größenwahn. Hier spricht ein Mann, dem praktisch das Land gehört mitsamt allen Weibern zwischen 17 und (höchstens) 30. Und der wichtigste Fernsehsender, bei denen er die Damen in Castingshows unterbringen kann. Außerdem gehört ihm eine Partei, bei der er jederzeit die Jungefrauenquote erhöhen kann, was Feministinnen komischerweise aber nicht in Entzücken versetzt. Was er und wie er denkt und was er will, ist – ähnlich wie bei Adolf Hitler – vollkommen öffentlich, vollkommen bekannt, absolut »transparent«, um mal ein Modewort der Scheindemokratie zu verwenden. Man mag Berlusconi leiden oder nicht (ich bin sein Fan) – aber eins muß man ihm lassen: Bei ihm gibt es keinen doppelten Boden, kein taktierendes Hinhalten, keinen »Moderieren« genannten Politikstil, bei dem man nie erfährt, was die Kanzlerin will und ob sie überhaupt etwas will. Und dann sein Humor, der seinem Volk hilft, auch dunkle Stunden (z.B. Erdbeben) zu überstehen. Sein Humor, der intellektuelle Quell für die Comedy-Schiene seiner Fernsehsender, ist der beruhigende Beleg dafür, daß Berlusconi auch im Idealfall einer absoluten Alleinherrschaft über Italien diese nicht zu unlustigen Zwecken mißbrauchen würde. Wer Obama mehrmals »schön gebräunt« nennt und ihn in der Gemeinschaft der Regierungschefs »unser Brauner« nennt, wird niemals Amerika überfallen!

Gut, ich gebe zu, das letzte Mal, als Hitler »Heil Hitler!« zu sich selbst sagte (sein treuer Diener, der SS-Mann Rochus Misch, erzählte in seinen Erinnerungen unter dem Titel »Mein Hitler«, daß Hitler zumeist »Heil Hitler!« rief, wenn er sich mit hartem Stuhl quälte), ist es nicht gut ausgegangen. Aber solche Vergleiche sind kontraproduktiv.

Bei uns wäre ein »Heil Merkel!« aus Kanzlerinnenmund schon deshalb nicht möglich, weil die Fernsehsender nicht Frau Merkel gehören, sondern der werbetreibenden Wirtschaft, weil nicht Frau Merkel die Politik bestimmt, sondern die Initiative Neue soziale Marktwirtschaft, weil nicht Frau Merkel die Massenpresse in der Hand hat, sondern der Springer-Konzern. Und das ist natürlich viel besser so.

Junge Welt, 10. Oktober 2009

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