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… die Kanzlerin ein verstecktes Zeichen hätte geben wollen?

… die Kanzlerin ein verstecktes Zeichen hätte geben wollen?

Die Politik steckt voller versteckter Zeichen. Erst neulich trug die Kanzlerin Grün! Viele Streiter gegen die Atomenergie dechiffrierten das als die Botschaft: Endlager endlich gefunden! Der Verteidigungsminister sagte am Mittwoch, nach den geheimen (!) Beschlüssen des Bundessicherheitsrates zur Waffenlieferungen an Saudi-Arabien habe ihn in Israel kein Aas gefragt. Verschlüsselte Botschaft: Geheim ist geheim, ihr Idioten! Ja, man muß die Zeichen nur zu lesen wissen.

Warum nicht immer Klartext geredet wird? Nun, manche Botschaften haben es in sich. Sie würden dem Amtsträger womöglich Kopf und Kragen kosten. Um sie zu verstehen, darf man sich nicht nur fragen, was »eigentlich« gesagt (bzw. ohne Worte ausgedrückt) wurde. Wichtig ist auch: wann.

Beispielsweise am 13. Juli in der Tagesschau des Westfernsehens um 20 Uhr zwo! Es sind die Tage, da in vielen Familien die Vorbereitungen auf die Gartenfeste rund um den 60. Jahrestag des Mauerbaus im Gange sind. Überall wird schon der Grill geputzt, wird gebacken und gepökelt, Bier gebunkert, werden die Dias sortiert (Tante Hilde – im Hintergrund der B-Turm Schwedter Straße) und die alten Lieder geübt (»Wir Grenzsoldaten halten Wacht / sind nicht zu überlisten. / An unsern Grenzen bricht die Macht / der Imperialisten«). In dieser heiteren Stimmung der Vorfreude, exakt einen Monat vor den offiziellen Feierlichkeiten zum Mauerbau, sagt unsere Bundeskanzlerin den Satz (wie häufig, wenn sie eine versteckte Botschaft hat, mit einem Nebensatz beginnend) in die Kamera: »Daß jedes Land seine Grenze sichern muß – ich glaube, das ist auch doch das Normale.«

»Hast du das gehört?«, frage ich die Frau, die mit mir in meinem Hause wohnt und sich pflichtgemäß zum Empfang der Staatsnachrichten eingefunden hat. »Ja«, sagt diese, bleich und erschrocken, »aber ich kann es nicht glauben.«

»Doch«, sage ich, »die Inhaberin der Richtlinienkompetenz hat soeben nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß jedes, ich betone: jedes Land seine Grenzen sichern muß, ich betone: muß. Und daß das ›auch doch‹ das Normale sei.« Wir öffnen den Sekt, der für den Fall kalt steht, daß wir ein verstecktes Zeichen entschlüsseln. Nach Meinung von A. Merkel wäre die DDR also nicht nur schön blöd gewesen, wenn sie ihr Grenzregime (ein wesentliches Element des Gewaltmonopols eines jeden Staates) schon 1949 in die Hände der Adenauer-Regierung gegeben hätte, sie hätte als Staat vor dem Staatsvolk versagt.

»Aber sie spricht doch von Angola!«, barmt die Frau, die in meinem Haus wohnt, und die von Glück reden kann, daß ich ihr die Nachrichten erkläre.

»Natürlich spricht sie von Angola! Oder soll sie etwa von der Bernauer Straße sprechen oder von Probstzella und sich sofort das Geschrei an den Hals holen, das Mädel aus dem Osten sei die Fünfte Kolonne Moskaus?« In diesem Moment gibt die Kanzlerin, als wolle sie meine Worte bekräftigen, noch einen drauf und setzt fort: »Deshalb glaube ich nicht, daß wir im umfassenden Sinne die Aufrüstung betreiben«, wenn Deutschland den angolanischen Grenztruppen acht schwerbestückte Küstenschutzboote vermacht, von denen eines so viel kostet, wie die ganze Mauer einschließlich Stacheldraht nicht gekostet hat.

Die Mauer also kein hochgerüstetes Monstrum, sondern »auch doch das Normale« bei einem Staat, der »für Stabilität in der Region sorgt«. Jeder weiß doch, daß die Aussage, Angola sorge für Stabilität in der Region, nur ein Witz sein kann. Nein – Frau Merkel meint uns! Denn daß die Mauer für Stabilität in Mitteleuropa gesorgt hat, das haben alle amerikanischen Präsidenten zwischen 1961 und 1989, sogar Ronald Reagan, anerkannt. »Kopf hoch, Ossis«, ruft die Kanzlerin uns (heimlich) zu. Und das tut mal richtig gut.

Ein Staat, der sein Grenzregime aufgibt, gibt sich selber auf. Das hat die SED-Parteiführung bisher wohl als einzige in der Weltgeschichte fertiggebracht. Die Dänen korrigieren sich gerade. Und der Bürgermeister von Guben (FDP) an seiner Grenze gerade auch.

Junge Welt, 15. Juli 2011

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